Mittwoch, 7. März 2012

Ein Jahr war nicht genug – länger bleiben, zurückgehen oder nach Alternativen suchen?




Diesmal geht es u.a. um:
Zeit zum Abschied nehmen
Ist Neuseeland wirklich ein „Slice of Heaven“?
Der Versuch einer Bilanz



 (Otaki Beach)

Warum habe ich mich auf den Weg in ein anderes Land gemacht, welches auf der anderen Seite der Welt liegt, um dort für ein Jahr oder länger zu leben und zu arbeiten?

Gab es ausreichend gute Gründe, meine eigene, sichere Existenzgrundlage eines niedergelassenen Arztes aufzugeben und in einem völlig anders strukturierten Gesundheitssystem neu anzufangen?

Was wäre passiert, wenn sich die Dinge nicht so entwickelt hätten, wie ich es mit bestmöglicher Vorbereitung geplant und erhofft hatte?

Welche Erfahrungen haben mein Leben bereichert? Was hätte ich lieber nicht erlebt?

War es die Mühe wert? Würde ich den gleichen Schritt noch einmal machen?

Wie wird sich meine Zukunft gestalten, wenn ich bald ‚good-bye’ zu Neuseeland sage?

Oder sage ich vielleicht ‚see you again’?


 (Wanderung bei Otaki Forks)


 (Reste der Dampfmaschine einer Sägemühle, Otaki Forks)




Ich wäre glücklich, für alle Fragen schon eine Antwort parat zu haben. Einige Fragen werde ich wohl erst mit einigem Abstand im Rückblick beantworten können. Für Andere, wie z.B. die nach der ‚Bereicherung meines Leben’, müsste ich wohl ein Buch schreiben, um es auch nur halbwegs umfassend beschreiben zu können.

Für die ganz Neugierigen, die mit einer Kurzversion meiner Gedanken zufrieden sind, hier meine ultra-kurz Antworten:

Auf keinen Fall wollte ich bis zu meiner Pensionierung so weitermachen wie bisher.

Ja, es gab viele gute Gründe, alles aufzugeben und mich auf eine ungewisse Zukunft einzulassen. Hätte ich nicht losgelassen, wäre ich stehen geblieben.

Wenn es nicht so läuft wie geplant, ist das der Normalfall, nicht die Ausnahme. Meine Kreativität, einen Plan B (und C) zu entwickeln, erlebe ich nur außerhalb der Planmäßigkeit.

Alle Erfahrungen haben mein Leben bereichert und ich hätte nichts vermissen wollen.

Ja, es war alle Mühen wert und ich würde es wieder genau so machen.

Ich habe keine Glaskugel und bin gespannt auf die Zukunft.

Zu Neuseeland sage ich definitiv ‚see you again’!


 (Wanderung bei Otaki Forks)




 
Meine Zeit in Neuseeland geht bald dem Ende zu. Mitte März 2012, also fast zwei Jahre nachdem ich das erste Mal mit meinem Koffer (23kg) und Handgepäck (7kg) in Auckland gelandet war, werde ich mich von allen Menschen, die ich in der Zwischenzeit hier kennen gelernt habe, verabschieden müssen.

Es wird also wieder eine Zeit des Abschiednehmens geben, aber damit fängt ja oft der spannende Teil (wie geht es weiter?) erst an.


 (Kunstobjekte in Wellington)





Unabhängig von meiner persönlichen Entwicklung frage ich mich häufig, was waren die Highlights an Erkenntnisgewinn, die mich (und vielleicht andere?) zum Nachdenken anregen sollten, ob all die Dinge, die so selbstverständlich erscheinen, es tatsächlich sind?

Was können Leute von Neuseeland lernen und wo hat Neuseeland „Entwicklungspotential“?


 (Tongariro National Park)



Es müssen ja nicht gleich weltbewegende Dinge sein, oft sind es die Kleinigkeiten, bei denen man sich hinterher fragt, ja warum ist das bei uns in Deutschland noch nicht eingeführt worden.

Wie z.B. die Sache mit dem Vermerk im Führerschein, ob jemand Organspender sein möchte oder nicht. Jeder Kiwi, der seinen Führerschein beantragt oder verlängern möchte, wird um eine diesbezügliche Stellungnahme gebeten und diese Information steht im scheckkartengroßen Führerschein, dort wo sie im Fall des Falles sofort verfügbar ist.


 (Auf dem Weg nach Kaikoura, Südinsel)




Oder die Regelung, ab einem bestimmten Alter (75 Jahre) die Fahrtauglichkeit alle zwei Jahr nach medizinischen Gesichtspunkten (Sehfähigkeit, Koordination, Medikamente, neue Erkrankungen etc.) zu überprüfen.

Der Führerschein mit „Verfallsdatum“ würde dazu beitragen, den Straßenverkehr sicherer zu machen und eine ärztliche Untersuchung wäre wenigstens ein gewisser Schutz vor einer Selbstüberschätzung bezüglich der „medical fitness to drive“ / Fahrtauglichkeit.


 (Lake Tekapo, Südinsel)




Manche Regelungen, die in Neuseeland m. E. hervorragend entwickelt wurden, betreffen einzelne Personen, Andere betreffen einzelne Berufsgruppen oder die Gesellschaft insgesamt.

Der Professionalisierungsgrad der Ärzte, Nurses aber auch der Caregiver hat mich sehr beeindruckt. Es handelt sich dabei um eine über viele Jahre gewachsene, eigenverantwortliche Gestaltung des Berufsbildes, die von den jeweiligen Berufsverbänden sehr ernst genommen wird, mit dem Ziel, den bestmöglichen Ausbildungsstand zu gewährleisten.


 (Kea, Arthurs Pass)

Für die Nurses war damit z. B. ein Wechsel von einer relativ einfachen Ausbildung hin zu einem mehrjährigen Studium verbunden.

Die Weiterbildung ist damit aber nicht beendet, sondern kann durch einen Aufbaustudiengang zum „Nurse Practitioner“ erweitert werden, was einer Spezialisierung gleichkommt und beispielsweise die Möglichkeit der Verschreibung von Medikamenten eröffnet.


 (Kea, Arthurs Pass)

Die Qualifikation der Ärzte wird hier durch das „Medical Council“ überwacht und durch unterschiedliche Zertifizierungsverfahren auf einem hohen Niveau gehalten.

Erst kürzlich erhielt ich ein Schreiben vom Medical Council, welches über ein neues Zertifizierungsprogramm informierte, um die „competence and fitness to practice“ durch entsprechend hohe Standards sicher zu stellen. Angekündigt wurde ein neues Programm, welches aus mindestens 50 Stunden „Continuing Professional Development“ besteht, u. a. mit „peer review, clinical audit, patient feedback questionnaires, practice review und continuing medical education activities”. 

Ob die Ärzte in Neuseeland mit diesen Ankündigungen so glücklich sind, möchte ich allerdings bezweifeln, zumal die Zertifizierung mit erheblichen Kosten verbunden ist.


 (Kea, Arthurs Pass)

Eine ganz andere Regelung, der ich zu Anfang eher skeptisch gegenüber stand, betrifft die Geschwindigkeitsbegrenzung. Ich fragte mich, wie man in einem so großen Land (Neuseeland hat eine Fläche von ca. 286.000 km2, Deutschland ca. 375.000km2) in akzeptabler Zeit von A nach B kommen soll, wenn man mit dem Auto höchstens 100 km/h fahren darf.

Auch die strikte Einhaltung von 50 km/h im Stadtgebiet erschien mir etwas übertrieben.

Mittlerweile hat sich meine Meinung dazu grundlegend gewandelt.



Zum Jahresende gab es hier in den Medien wieder Berichte über die Zahl der Verkehrstoten. Das Autofahren in Neuseeland ist wegen der Straßenverhältnisse mit vielen unübersichtlichen Kurven und unebenen Straßen sehr anstrengend und nicht ohne Risiken.

Durch eine konsequente Geschwindigkeitsüberwachung mit empfindlichen Geldbußen schon bei einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit von 5 km/h (neben anderen Maßnahmen die den Verkehr sicherer gemacht haben), konnte in den letzten Jahren die Zahl der Verkehrstoten in Neuseeland deutlich gesenkt werden, zuletzt von 396 (2010) auf 284 (2011).



In Deutschland wurden im gleichen Zeitraum laut Statistischem Bundesamt 3648 (2010) bzw. etwa 3900 (2011, geschätzt) Menschen im Straßenverkehr getötet.

Ich habe mich in relativ kurzer Zeit an die „geringere“ Geschwindigkeit gewöhnt und empfinde diese Art von „Entschleunigung“ als äußerst angenehm.

Ich habe auch keine Sorge mehr, nicht schnell genug von A nach B zu kommen, sondern fahre etwas früher los und freue mich, wenn ich sicher angekommen bin.



Es bleibt die Frage, wie lange in Deutschland die persönliche Freiheit zum schnellen Autofahren als höherwertiger eingeschätzt wird, als die Risikobegrenzung von Unfall und Tod durch eine Entschleunigung im Straßenverkehr.

Tempo 100 auf deutschen Autobahnen und „echte“ 50 km/h im Stadtverkehr wären sicherlich völlig unpopulär, die Zahl der jährlichen Verkehrstoten würde aber vermutlich deutlich sinken.



Mich hat natürlich aufgrund meiner Arbeit besonders interessiert, wie in Neuseeland das Gesundheitssystem funktioniert und welchen Einfluss die unterschiedlichen Systeme auf die Versorgung der Patienten und meine tägliche Arbeit haben.

Der Blick über den Tellerrand und die Erfahrungen in zwei unterschiedlichen Ländern zu leben haben mir deutlich gemacht, dass nichts selbstverständlich ist. Je nachdem mit wem ich spreche, ob mit Deutschen oder ‚Kiwis’, wäre es ein Leichtes, anhand von einzelnen Beispielen das eine oder andere Gesundheitssystem zu loben oder zu kritisieren.

Anstelle von Bewertungen war es mir aber wichtiger, zu erfahren was anders ist, und wenn möglich zu verstehen, aus welchen Gründen es anders ist.


 (Akaroa)





Deutschlands komplexes Gesundheitssystem (mit ca. 150 Krankenkassen, Mehrfachversorgung mit Krankenhaussektor, niedergelassenen Fachärzten und Hausärzten, Beitragsfinanzierung durch ca. 15% des Arbeitnehmereinkommens und einem fast gleichen Arbeitgeberanteil, ca. 10% Privatpatienten) hat sich aufgrund seiner historischen Wurzeln in eine bestimmte Richtung entwickelt.

Die starken Interessenvertretungen (der KV für die Ärzte und der Kassen für die Patienten) haben zusammen mit der erheblichen Einflussnahme durch die jeweils amtierenden Gesundheitsminister dazu beigetragen, dass ein bürokratisches, überreguliertes Verwaltungssystem entstanden ist, das kaum noch irgend jemand durch- geschweige denn überschauen kann.

Der Patient bewegt sich in dem System mit seiner Chipkarte und der „freien Arztwahl“ wie ein Kunde in einem Selbstbedienungsladen, bei dem die Kassen durch einen monatlichen Zwangsbeitrag ersetzt wurden.

Nur, was macht ein Patient mit der so gewonnen Freiheit? Natürlich nutzt er das System so gut es geht, er hat ja schließlich dafür bezahlt, und trotzdem wundert sich jeder, dass die Beiträge immer weiter steigen.

Wer jeden Monat 15% von seinem Bruttoeinkommen abgezogen bekommt, möchte dafür natürlich eine entsprechende Leistung erhalten. Dieser Leistungsgedanke hat allerdings nicht mehr viel mit der Absicherung von Gesundheitsrisiken zu tun, für welche die Krankenversicherung einmal entwickelt wurde.

Wenn dann auch noch die Leistungen ohne spürbare Konsequenzen (z.B. Eigenanteil) und ohne medizinischen Sachverstand (z.B. durch einen Hausarzt der als Gatekeeper fungiert) genutzt werden, ist ein sorgsamer Umgang mit den vorhandenen Ressourcen kaum denkbar.


 (bei Picton)


Neuseeland hat ebenfalls ein sehr komplexes Gesundheitssystem, allerdings mit einer historisch ganz anderen Entwicklung. Hier ist der Staat für die Bereitstellung einer Gesundheitsversorgung zuständig. Folglich wird das System zu 100% steuerfinanziert.

Ein weiterer, entscheidender Unterschied besteht darin, dass dieses System hausarztzentriert ist, d.h. jeder Patient kann Leistungen nur über seinen Hausarzt in Anspruch nehmen (von Notfällen einmal abgesehen).

Patienten zahlen keinen monatlichen Versicherungsbeitrag, d.h. dem Arbeitnehmer (und Arbeitgeber) werden vom Gehalt keine monatlichen Kosten für die Krankenversicherung abgezogen, dafür wird für Patienten bei jedem Arztbesuch eine Gebühr fällig (ca. 50% Eigenanteil an den Behandlungskosten, zwischen NZ$ 30 / €19 und NZ$ 60 / €38, Kinder unter sechs Jahren erhalten kostenfreie Behandlung), welche sofort am Tresen zu entrichten ist.


 (Queen Charlotte Sound)

Auch hier besteht „freie Arztwahl“, die sich allerdings auf die Wahl des Hausarztes beschränkt. Welcher Facharzt oder welche Krankenhausabteilung ggf. Spezialuntersuchungen /-behandlungen übernimmt entscheidet der Hausarzt bzw. die Abteilung, an welche der Hausarzt den Patienten überweist.

Wartelisten für Facharztbehandlungen sind die Kehrseite der Medaille. Allerdings kann sich jeder Patient zusätzlich privat versichern, für Leistungen, welche das staatliche System nicht abdeckt, oder um Wartelisten zu umgehen.



Durch den relativ hohen Eigenanteil nutzen Patient in Neuseeland das Gesundheitssystem nur, wenn das Anliegen es ihnen wert ist, dafür mindestens NZ$ 30 auf den Tresen zu legen. Und es wird sehr darauf geachtet, dass für diesen Betrag auch eine entsprechend gute Leistung folgt.

Der Hausarzt bzw. die Praxis übernimmt die Koordinierung der ambulanten Versorgung des Patienten und bekommt dafür zeitnah ein Leistungsgerechtes Entgelt, ohne Regressrisiko, ohne floatenden Punktwert, dafür aber mit viel Wertschätzung für die geleistete Arbeit.


 (Queen Charlotte Sound)


Unter diesen Arbeitsbedingungen habe ich meine Freude am Beruf des Hausarztes wiedererlangt.

Es steht außer Frage, dass auch in Neuseeland Hausärzte eine große Verantwortung tragen. Die Arbeitsbelastung ist sicherlich teil des Berufes, wurde aber von mir während meines Aufenthaltes in Neuseeland in weit größerem Maße als akzeptabel wahrgenommen, weil ich mich in meiner täglichen Arbeit wieder um medizinische Fragen kümmern konnte (welches ist die adäquate Behandlung?) und ich hier einen klaren Handlungsauftrag (Koordinierung der hausärztlichen Versorgung) hatte, ohne ständig im Hinterstübchen daran denken zu müssen, möglicherweise für teure Behandlungen in die Regressfalle zu tappen.


 (Queen Charlotte Sound)


Die Naturschönheiten beider Inseln, die entspannte Lebensart der Kiwis und die vielen Kontakte zu liebenswürdigen Menschen haben selbstverständlich wesentlich dazu beigetragen, dass ich mich hier schon nach kurzer Zeit sehr wohl gefühlt habe und ein Jahr länger geblieben bin, als es ursprünglich von mir geplant war.

Aber auch zwei Jahre waren bei weitem nicht genug, mir alles ansehen zu können. Die Liste an Dingen, die ich in Neuseeland noch sehen und erleben möchte ist immer noch sehr lang. Beim nächsten Besuch werde ich meine Inselerkundungen fortsetzen.


 (Tane Mahuta, Kauri Tree, Waipoua Forest)

Jedem Kollegen, der nach dem lesen meines Blogs immer noch unschlüssig ist, ob sich ein Jahr „leben und arbeiten als Hausarzt in Neuseeland“ wirklich lohnt, kann ich nur sagen, es wäre sehr schade, die Chance nicht zu ergreifen, wenn man sie geboten bekommt.

Für mich war es sowohl beruflich wie persönlich eine großartige Bereicherung.


 (Russel)

Allen anderen Lesern des Blogs habe ich hoffentlich genügend Informationen jenseits des Gesundheitssystems geben können um eine Vorstellung davon zu bekommen, was für ein schönes Land sich auf der anderen Seite der Welt befindet.
Ein Besuch lohnt sich allemal.


 (Russel)

Ich bin mit einem Koffer gekommen und werde mit einem Koffer wieder zurückfliegen, zusätzlich nehme ich aber unzählige Erfahrungen und noch mehr Bilder wieder mit.

Davon konnte ich hier allerdings nur eine kleine Auswahl zeigen und ich hoffe, es waren für jeden Leser ein paar interessante Einblicke und Anregungen dabei.


 (Kerikeri)





Jedem, der sich auf eine Reise nach Neuseeland macht, wünsche ich viel Erfolg und tolle Erlebnisse, denn wo sonst gibt es das schon, dass man in zwei Jahren Erfahrungen von gefühlten 20 Jahren sammeln kann ...


(Sonnenuntergang Kapiti Island)

Sonntag, 27. November 2011

Milford Track – Vierter und fünfter Tag




Diesmal geht es u.a. um:
Pflege ohne Notstand
Patientenrechte
Verdienste für die Gesundheit - „Health Awards
Wanderung auf dem Milford Track - Fortsetzung





Es ist sehr beeindruckend für mich, wie in Neuseeland mit den Schwächsten der Gesellschaft bzw. mit potentiell Benachteiligten umgegangen wird. Über die schulische Betreuung von Kindern sowie die politische Einbindung und kulturelle Anerkennung von Maori hatte ich bereits berichtet. Wie sieht es mit der Betreuung von Pflegebedürftigen und von Behinderten aus?

Meine Tätigkeit als Hausarzt bringt es mit sich, dass ich regelmäßig einige der lokalen Altenheime besuche. Jeweils vormittags fahre ich an zwei Tagen pro Wochen in eines der örtlichen Heime.


(Damit waren früher die Doctores auf Hausbesuchstour unterwegs
Farmbesuch in der Nähe von Palmerston North)



 (zum Nachtanken)


 (Notfalltelefon?)

Die „Registered Nurses“ haben meist alles für den Hausbesuch sehr gut vorbereitet, d.h. die Akten bereitgelegt und eine Liste der Anliegen geschrieben, welche geklärt werden sollen. Die Pflege der Bewohner wird in einer Akte für jeden Patienten sehr gewissenhaft dokumentiert, wobei der Aufwand, die gesamte Versorgung fortlaufend zu dokumentieren erheblich ist und leider viel Schreibarbeit erfordert. 

Die Medikamentenversorgung wird von den Hausärzten (und nur von diesen!) in der Pflegedokumentation schriftlich festgehalten und ggf. geändert (z.B. nach Entlassung aus dem Krankenhaus). Dadurch wird die Kontinuität und fachliche Überwachung der medikamentösen Behandlung sichergestellt.

Manchmal passiert es allerdings auch, dass leider überhaupt nichts von den „Registered Nurses“ für den Hausbesuch vorbereitet wurde. Ich denke dann: „Was ist nur so schwierig daran, einen Hausbesuch strukturiert zu planen“ (typisch deutsche Denke, aber irgend wie geht es dann trotzdem voran, mit der hier üblichen Gelassenheit).

Wir besprechen welche Gesundheitsprobleme wie behandelt werden sollen. Manchmal ohne direkten Patientenkontakt, häufig besuche ich die Patienten allerdings in ihrem Zimmer und untersuche sie bzw. bespreche mit ihnen die einzelnen Anliegen.


(Farmbesuch in der Nähe von Palmerston North)


  

In den letzten Monaten habe ich die Patienten durch den regelmäßigen Kontakt so gut kennen gelernt, dass ich immer seltener auf die Krankenakte zurückgreifen muss und häufig die wesentlichen Hintergrundinformationen bereits kenne.

Dabei habe ich natürlich auch die Schwestern, das Pflegepersonal und die pflegerische Betreuung der Altenheimbewohner sehr gut kennengelernt. Wie in vielen anderen Ländern gibt es auch hier ein Problem, ausreichend qualifiziertes Pflegepersonal zu bekommen. Neben den sog. „Registered Nurses“ arbeiten in den Heimen viele „Caregiver“, was man vielleicht am Besten mit „Pflegehelfer“ übersetzen kann, also nicht examinierte, aber doch mit den Fertigkeiten der Grundpflege ausgebildete Pflegekräfte, die sich sehr liebevoll um die Bewohner kümmern. 

Es arbeiten auch viele ausländische Schwestern in den Heimen. Ich kann nur vermuten, dass es ohne die vielen Arbeitskräfte aus dem Ausland hier einen Pflegenotstand gäbe.

Die Heimbewohner werden nach meiner Wahrnehmung sehr gut betreut. Ein Einzelzimmer ist Standard, Mehrbettzimmer habe ich nirgends gesehen. Häufig sind die Zimmer mit persönlichen Dingen dekoriert, so dass man schon vom ersten Eindruck her merkt, es wird sehr viel Wert darauf gelegt, die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner zu berücksichtigen.


 (Kirchenbesuch mit Ausblick)




  
Interessanterweise gibt es hier in allen Einrichtungen, welche mit der Behandlung von Gesundheit oder Behinderung zu tun haben, ein Informationsblatt das gut sichtbar aufgehängt über die „Rechte von Patienten“ informiert (http://www.newzealandnow.govt.nz/patient-rights).

Darin heißt es u. a.
Alle Patienten in Neuseeland haben gewisse Rechte, wenn sie Dienstleistungen für Gesundheit oder Behinderung erhalten:

- immer mit Respekt behandelt werden
- nicht diskriminiert, unter Druck gesetzt oder übervorteilt werden von Diensten, welche würdiges und unabhängiges Leben fördern
- medizinisches Personal, welches zuhört und klar kommuniziert
- einen Übersetzer, wenn notwendig
- eine verständliche Aufklärung über den medizinischen Zustand und die Arten der verfügbaren Behandlung
- Eine ehrliche Beschreibung der Risiken, wie auch des Nutzens der vorgeschlagenen Behandlung
- Fragen stellen und kompetente Antworten erhalten
- eigene Entscheidungen treffen
- die Entscheidung ändern, wenn man schon ja oder nein zu einer Behandlung gesagt hat
- ablehnen, an Lehre und Forschung teilzunehmen
- eine Unterstützungsperson bei sich haben
- eine Beschwerde anzeigen

Diese „Rechte von Patienten“ (patient-rights) mögen selbstverständlich klingen und man kann sich fragen, warum sie schriftlich festgehalten und veröffentlicht werden. 

In meinem Arbeitsalltag merke ich immer wieder, dass sehr viel Wert darauf gelegt wird, diese Rechte in die Arbeit zu integrieren und „mit Leben zu füllen“. Der einzelne Patient erfährt eine Wertschätzung, die wiederum zu einer Wertschätzung des Gegenübers/ des Doctors/ der Nurse/ des Caregivers führt. Respektvolles Handeln trägt dazu bei, selbst respektvoll behandelt zu werden.



 (Castle Point)


Die Betreuung von behinderten Menschen wird hier von unterschiedlichen Organisationen übernommen. Häufig wohnen die Behinderten in kleinen Wohneinheiten von vier oder sechs Bewohnern und werden rund um die Uhr von ihren Caregiver betreut. 

Wenn behinderte Menschen einen Arzt aufsuchen müssen, ist es hier selbstverständlich, dass sie von einem Fahrdienst zur Praxis begleitet werden. Während der gesamten Zeit, die sie in der Praxis verbringen, begleitet sie ein Caregiver, der auch für die Dokumentation des Arztbesuches (ggf. Änderung der Medikamente, Kopie der Konsultationsaufzeichnungen) zuständig ist.

Alle sechs Monate werden die Medikamente überprüft und ggf. angepasst. Für Menschen mit besonders schwerwiegenden Behinderungen, die in Pflegeinrichtungen wohnen, werden in größeren Zeitabständen (6 bis 12 Monate) Dokumentationsbögen ausgefüllt, die sicherstellen sollen, dass alle gesundheitlichen Belange (vom Allgemeinzustand bis zur Zahngesundheit) regelmäßig von einem Arzt angesehen bzw. begutachtet werden. 

Ist ein Besuch in der Arztpraxis nicht möglich, was wirklich nur in sehr wenigen Ausnahmefällen der Fall ist, dann wird ein Hausbesuch organisiert, bei dem dann immer auch der „medizinische Supervisor“ der Einrichtung anwesend ist.

Ich erlebe hier eine sehr fürsorgliche Art der Behindertenbetreuung und nehme immer wieder bewundernd zur Kenntnis, mit wie viel Einsatz sich die Caregiver für ihre Schützlinge einsetzen.




Wie Vielfältig das Angebot an unterschiedlichen Gesundheitsdiensten in der Region ist, konnte ich bei der Feier für die diesjährigen „Health Awards“ in Palmerston North feststellen. Unsere Praxis war als „Integratives Familien-Gesundheits-Zentrum“ für einen der Preise nominiert worden. In einer feierlichen Abendveranstaltung wurden die nominierten Projekte bzw. Dienste vorgestellt.




Auch wenn wir keinen „Award“ mit nach Hause genommen haben, so war es doch interessant zu sehen, welche Dienste in Levin, Palmerston North und Umgebung aktiv sind:

- Mehrere Stiftungen kümmern sich um Gesundheitsbelange von und für Maori
- Ein Psycho-Onkologie Service an der Massey Universität sorgt sich um besondere Belange von Kindern und Erwachsenen mit Krebs
- Eine Stiftung unterhält Wohneinrichtungen und bietet Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen
- Apotheken unterhalten besondere Dienste zur Qualitätssicherung in der Medikamentenversorgung
- Es gibt einen Dienst speziell für Kinder mit Ekzem/Neurodermitis
- Mehrere Teams haben sich auf die medizinische Versorgung geriatrischer/älterer Patienten spezialisiert
- An Schulen bieten „Registered Nurses“ eine niedrigschwellige Gesundheitsfürsorge für Schüler an
- Ein Team bemüht sich um die Gesundheitsbelange jugendlicher Straftäter
- Eine Einheit der lokalen „Ambulance Services“ hat eine besondere Form der Notfallversorgung entwickelt, welche helfen soll, die Rate der Akuteinweisungen ins Krankenhaus zu vermindern.

Viele dieser Dienste werden durch ehrenamtliche Mitarbeiter organisiert. Ich habe den Eindruck, dass es für viele Neuseeländer selbstverständlich ist, sich in irgendeiner Form ehrenamtlich zu betätigen.


(Wellington)



Auch diese Erfahrung trägt sicherlich dazu bei, dass meine Erlebnisse hier eher positiv sind und ich nur selten über Kehrseiten des Inseldaseins berichte. Das besorgen übrigens die neuseeländischen Medien meist selber.



(Wellington)


Wenn man sich hier die täglichen Nachrichten im Fernsehen ansieht, könnte man den Eindruck gewinnen, in einem gefährlichen Land zu leben, wo sich jeden Tag Unglücke und Kriminalfälle ereignen. Ich habe mich daher entschlossen, keine Nachrichten mehr anzusehen. Das schont meine Nerven und ich habe nicht den Eindruck, irgendetwas von diesen Nachrichten zu verpassen.


(Wellington)





Da auch das übrige Fernsehprogramm nicht sehr informativ ist und dazu noch mit andauernden Werbesendungen unterbrochen wird, bleibt mein Fernseher schon seit mehr als einem Jahr ausgeschaltet.
Die so gewonnene (Frei-)Zeit verwende ich lieber dazu, diesen Blog zu schreiben :-)




Abschluss der Wanderung auf dem 
Milford Track 21. und 22. April 2010

Nachdem die letzten Tage unsere Kräfte mit dem Aufstieg zum Mackinnon Pass ganz schön in Anspruch genommen haben, werden wir heute eine längere, dafür aber sehr entspannte Wanderstrecke zurücklegen. Zum Glück ohne große Steigungen, dafür mit einigen interessanten Haltepunkten unterwegs.


Das Wetter könnte nicht besser sein, morgens noch etwas frisch, mit einem strahlend blauen Himmel, der den ganzen Tag anhält. Wir machen uns gleich nach dem Frühstück auf den Weg. Das morgendliche zusammenstellen des Lunchpaketes haben wir die letzten Tage oft genug geübt, so dass die ganze Gruppe innerhalb einer halben Stunde nach dem Frühstück schon auf den Beinen ist, fertig zum Abmarsch.



Man merkt den Leuten an, dass sie sich darauf freuen, heute Abend in unserer letzten Unterkunft einzutreffen. Als besonderen Bonbon erwartet uns in der „Mitre Peak Lodge“ (Milford Sound) ein Paket mit frischen Sachen zum wechseln.




Damit wir die Wechselbekleidung nicht die ganze Zeit im Rucksack mit uns rum tragen müssen, konnte jeder Teilnehmer vor Beginn der Wanderung bei den Tour Guides ein selbst gepacktes Paket abgeben, welches in der Zwischenzeit zu unserer letzten Unterkunft transportiert wurde.



Aber erst mal liegt noch eine sechs- bis achtstündige Wanderung (21km) vor uns. Natürlich gibt es auch heute unterwegs wieder wohldosierte Pausen, in denen wir mit Getränken und kleinen Snacks versorgt werden.


Unser Weg führt uns an einem klaren Bach entlang. Links und rechts ragen die Berge so steil hinauf, dass die Morgensonne nicht zu uns in das Tal gelangt. Erst viel später im Laufe des Vormittags, als die Sonne hoch genug steht, bekommen wir etwas von den warmen Sonnenstrahlen zu spüren. Meist laufen wir aber zwischen Büschen und unter Bäumen, so dass es auch beim weiteren Wandern angenehm kühl bleibt.




Die kleinen Vögel sind so zutraulich und kommen einem zum Greifen nahe, da es hier keine natürlichen Feinde gibt (bzw. die eingeschleppten Fressfeinde wie Ratten, Opossum etc. vom Department of Conservation konsequent mittels Fallen gejagt werden).
Die Vögel spekulieren darauf, dass man etwas Essbares dabei hat oder zumindest den einen oder anderen Käfer platt tritt, der sich auf dem Boden befindet und den sie sich anschließend vom Boden aufsammeln können. Mehrfach habe ich gesehen, dass die Vögel gezielt den Boden absuchen, wenn man an ihnen vorbeigegangen ist.




Die Flechten an den Bäumen zeigen, wie feucht es hier das ganze Jahr über sein muss. In den Tälern verflüchtigt sich der Morgennebel erst sehr langsam. Die Vegetation links und rechts des Weges ist sehr dicht und immer wieder fließen von den Berghängen herunter kleine Bäche ins Tal und vereinigen sich mit dem nächsten größeren Fluss.






Häufig führt unser weg an einem der Wasserläufe entlang, manchmal überqueren wir diesen auf einer Hängebrücke und wenn mal wieder ein Wegweiser auftaucht, oder einer der Pfosten auftaucht, auf denen die Kilometer bzw. Meilen angezeigt sind, die wir zurückgelegt haben, dann freut man sich, dem Ziel wieder ein Stück näher gekommen zu sein. Je weiter wir gehen, umso mehr steigt das Bedürfnis, endlich am Ziel anzukommen.









Mit der Zeit entwickeln sich die Bäche zu immer breiteren Flüssen und die Hängebrücken über die wir gehen werden immer länger. Auch die Wege werden mit der Zeit immer steiniger, steiler und anstrengender (oder bin ich einfach nur geschafft?)


 


An einigen Stellen ist unser Weg so steil und felsig, dass man sich kaum vorstellen kann, wie dieser Weg mal angelegt wurde. Da wurde bestimmt das eine oder andere Stück Fels mit Dynamit herausgesprengt.






Die Wasserfälle und klaren Flüsse sind so einladend, dass man stundenlang einfach nur dasitzen und staunen könnte. Irgendwann muss ich nach einer ausgedehnten Pause doch weiter gehen, denn das Boot am Sandfly Point wartet auf uns, um uns auf die andere Seite des Milford Sounds zu bringen. Aber erst mal muss ich dort zu Fuß hinkommen. Der weitere Weg zum Ziel unserer Wanderung führt durch Wälder mit riesigen Farnbäumen.







Als endlich das Schild vom Sandfly Point auftaucht, dem Abschlusspunkt unserer 53 km langen Wanderung, bin ich froh, endlich am Ziel angekommen zu sein. Die Überfahrt mit dem Boot ist für uns die einzige Möglichkeit, an das andere Ufer des Milford Sound zu unserer nächsten Unterkunft zu gelangen. Nach der langen Wanderung freuen sich Alle, den Rest des Weges bequem mit dem Boot zurücklegen zu können. Einfach nur dasitzen und die schöne Aussicht geniessen ...







Von der Anlegestelle, auf der anderen Seite des Milford Sound, ist es nur noch ein kurzes Stück zu unserem Hotel. Unsere Zimmer sind schon für uns vorbereitet.
Schnell den Rucksack auspacken und natürlich erst mal unter die heiße Dusche.
Bei einer Tasse Tee und ein paar Scones kehren anschließend ganz schnell die Lebensgeister wieder zurück. Der Blick aus dem Fenster lässt erahnen, was wir am folgenden Tag zu sehen bekommen werden ...





Am Abend gibt es ein leckeres Dinner und im Anschluss erhält jeder Teilnehmer eine Urkunde über die erfolgreiche Bewältigung des „Milford Tracks“ ausgehändigt. Die Teilnehmer tauschen untereinander Adressen aus. Abschiedsstimmung macht sich breit. Wird man sich irgendwo anders wiedersehen? Oder für die nächste gemeinsame Wanderung verabreden? Man weis ja nicht, ob man doch mal den Einen oder Anderen besuchen wird, also erst mal die Adressenliste ausfüllen, von der jeder Teilnehmer eine Kopie erhält.

Für den nächsten Tag ist eine Bootsfahrt geplant, einmal den gesamten Milford Sound entlang fahren, bis zum offenen Meer und wieder zurück.
Der Blick vom Hotel auf den Milford Sound sieht morgens wolkenverhangen aus. Da können wir nur hoffen, dass es einigermaßen trocken bleibt.



Unser Schiff ist ein großer Ausflugsdampfer, aber auf dem Wasser wirkt es, wie auch die anderen Fährschiffe, wie eine kleine Nussschale.




Die Felsen auf beiden Seiten des Sounds sind sehr hoch und überall sind kleine und größere Wasserfälle zu sehen. Der Wind in dieser engen Schlucht ist sehr stark, da die Luftmassen extrem zusammengepresst werden. Der Kapitän des Schiffes muss sehr vorsichtig manövrieren, damit wir nicht an die Felswand gedrückt werden.





Als wir das offene Meer erreichen, fängt es an heftig zu regnen. Zum Glück kann man unter Deck im Trockenen sitzen, bis der Regen wieder nachlässt.





Einer der Wasserfälle, an dem wir vorbeifahren, erreicht nicht den Boden, da der starke Wind das Wasser immer wieder in die Luft wirbelt. Bei dem extremen Wind und den Regenschauern ist es kaum noch möglich zu Fotografieren, wenn man die Kamera halbwegs trocken halten möchte. Ich bin erstaunt, als ich mir hinterher die Bilder ansehe, dass man überhaupt etwas darauf erkennen kann.




Als wir zurück im Hafen ankommen wartet der Bus schon auf uns, der uns nach Queenstown zurückbringen wird.




Die nächsten Tage habe ich noch etwas Zeit, mich in Queenstown zu erholen und die nähere Umgebung zu erkunden.






Leider vergeht die Zeit mal wieder viel zu schnell ...