Samstag, 23. Juli 2011

Zweiter Tag auf dem Milford Track



Diesmal geht es u.a. um:
Hausärztliche Versorgungsmöglichkeiten und -grenzen
Palliativmedizinische Betreuung
Wandern auf dem Milford Track




Vor einigen Tagen erhielt ich einen Anruf eines Kollegen, der für mich mal wieder einige Fragen aufwarf, über die Versorgungsmöglichkeiten hier in Neuseeland im Vergleich zu Deutschland, über den Umgang mit Ressourcen, über Grenzen der Behandlung.

Wie kann man Patienten sinnvoll versorgen, auch wenn man weis, dass die Erkrankung nicht heilbar ist?
Ist es gerechtfertigt, wirklich alle diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten auszunutzen oder gibt es einen Punkt an dem kein zusätzlicher Nutzen für den Patienten eintritt?
Welche Versorgungsstrukturen benötigt man, um Patienten mit unheilbaren Erkrankungen zu versorgen?



  
Ich hatte für einen Patienten, den ich erst seit kurzer Zeit hausärztlich betreue, eine Überweisung an die onkologische Abteilung geschrieben, mit der Bitte um Mit- bzw. Weiterbehandlung hinsichtlich seiner Krebsbehandlung. 

Aus der Vorgeschichte konnte ich entnehmen, dass schon alle möglichen Behandlungsversuche (Bestrahlung, Chemotherapie, Knochenmarktransplantation) unternommen worden waren, der Patient aber zuletzt an das Hospiz überwiesen wurde, da alle Behandlungsmöglichkeiten nach Meinung der behandelnden Ärzte ausgeschöpft waren. 


 (unterwegs auf dem Milford Track)

Die Betreuung durch das Hospiz ist in dieser Region so organisiert, dass der Patient möglichst zuhause wohnt, dort betreut wird und durch die Zusammenarbeit von seinem Hausarzt mit dem stationären und dem ambulanten Hospizdienst bei Bedarf 24 Stunden am Tag, an 7 Tagen in der Woche einen Ansprechpartner für die Palliativbehandlung hat.

Zu Beginn der Palliativbehandlung wird mit dem Patienten und seinen Angehörigen ein Behandlungsplan erarbeitet, der wichtige Dimensionen (körperliche, seelische, spirituelle) der Sterbebegleitung berücksichtigt. 

Besonderer Wert wird bei diesem Plan darauf gelegt, bereits auf dem Vorwege festzulegen, welche Behandlung für möglicherweise auftretende Symptome/Beschwerden (z.B. Schmerzen, Unruhe, Angst, Atemnot) bereitgehalten werden soll. Damit wird für den Fall der Fälle bereits frühzeitig eine Behandlungsoption zur Verfügung gestellt, die es dem Patient oder seinen Angehörigen erspart, in der Akutsituation Hilfe organisieren zu müssen.

Wenn also akute Schmerzen auftreten sollten, soll vorher für diesen Fall schnelle Hilfe durch ein bereitgestelltes Medikament zur Verfügung stehen. Das gleiche gilt für alle anderen Symptome, die erfahrungsgemäß auftreten können.

Es ist insofern eine sehr vorausschauende Form der Behandlung, wobei sich der Betroffene oder die Familie aber trotzdem jederzeit an eine Ansprechperson des Palliativ-Teams wenden kann, falls weitergehender Beratungsbedarf besteht. 






Die Überweisung an den Onkologen hatte ich geschrieben, da ich wegen der Zustandsverschlechterung des Patienten von dem Fachkollegen Unterstützung hinsichtlich der weiteren Behandlung erhoffte.

Der Kollege rief mich persönlich an und teilte mir mit, dass der Patient an das Hospiz überwiesen wurde, da die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Die weitere Betreuung würde von dem behandelnden Arzt im Hospiz übernommen werden. Mit den verfügbaren Ressourcen könne der Patient nicht weiter von der Onkologie betreut werden, dieses sei nun Sache des Hospizes.

Etwas perplex von dieser, wie ich es empfand, schroffen Abfuhr fragte ich einen erfahrenen Kollegen meiner Abteilung, ob das die Art und Weise sei, wie hier mit solchen Überweisungen umgegangen werden würde. 


  (unterwegs auf dem Milford Track)

  
Wir hatten ein längeres Gespräch über alle möglichen Details der palliativmedizinischen Behandlung. Für mich, der es in Deutschland gewohnt war, außer eines schriftlichen Berichtes nur sehr selten eine Rückmeldung eines Kollegen zu einem Überweisungswunsch zu bekommen, war diese Erfahrung einer Behandlungsgrenze neu. Und dass mir ein Kollege diese Nachricht auch noch direkt mitteilte, hatte ich bisher noch nicht kennen gelernt.

Es ging hier wohlgemerkt nicht um die Frage „Was kann bei der Behandlung gespart werden?“ sondern eher um die Frage „Kann mit den verfügbaren Mittel eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden?“
Diese Frage wurde von den Fachärzten so beantwortet, dass durch die Palliativbehandlung der größere Gewinn an Lebensqualität gesehen wurde. 




Der Patient kam einige Tage später noch mal zu mir und berichtete mir, was er mit dem Arzt im Hospiz besprochen hatte.

Die Beschwerden hatten sich zwischenzeitlich durch eine symptomorientierte medikamentöse Therapie glücklicherweise tatsächlich gebessert und der Patient war mit dem Fortgang der Dinge zufrieden.



In den darauffolgenden Wochen hatte ich mehrfach Gelegenheit im Rahmen einer Palliativmedizinischen Fortbildung das Hospiz und die Arbeit des Palliativ-Teams näher kennen zu lernen. Für mich ist dieser Einblick in die Arbeitsweise des Hospizdienstes mal wieder ein Beispiel dafür, wie durch eine gut strukturierte und lokal verzahnte Versorgung eine außergewöhnlich gute Betreuung organisiert werden kann. 


 (unterwegs auf dem Milford Track)



Es zeigt mir aber auch, das Neuseeland aufgrund seiner Struktur (relative kleine Bevölkerung, aber großes, weiträumiges Land) ganz andere Probleme zu bewältigen hat. 

Es macht einen großen Unterschied für die Finanzierbarkeit eines Gesundheitssystems, ob „nur“ 4,4 Millionen Einwohner ihr Gesundheitswesen über Steuern finanzieren, oder ob von 80 Millionen Einwohnern alle Erwerbstätigen 15% ihres Bruttoverdienstes in die Krankenversicherung einzahlen. Da kommen natürlich viel schneller ein paar Milliarden Euro zusammen. Wie diese allerdings verteilt werden, steht auf einem anderen Blatt.

Um so bemerkenswerter finde ich es, dass in Neuseeland trotz massiv begrenzter Ressourcen eine Gesundheitsversorgung organisiert wird, welche die Grundbedürfnisse vollständig abdeckt.

Es ist allerdings, das muss ausdrücklich betont werden, wirklich nur eine Basisversorgung für die notwendigsten Gesundheitsleistungen. Alles was darüber hinaus geht, muss man über eine private Zusatzversicherung abdecken, wenn man sich für den Fall der Fälle absichern und nicht alles privat bezahlen möchte. 




Die Kehrseite der Medaille, oder besser gesagt der steuerfinanzierten Basisversorgung, sind Wartezeiten für Untersuchungen und Behandlungen bei Fachärzten, die in Neuseeland sehr lange sein können.

Die Fachabteilungen weisen den Patienten, welche überwiesen werden, aufgrund der übermittelten Befunde eine von drei Dringlichkeitsstufe (urgent / semi-urgent / routine) zu.
Die Wartezeiten richten sich nach den Kapazitäten der einzelnen Abteilungen. So muss z.B. ein Patient, der für eine Endoskopie angemeldet wird, mit einer Wartezeit von ein bis vier Wochen rechnen, wenn er als „urgent”, also dringlich eingestuft wurde.

Für Überweisungen, welche als „semi-urgent” beurteilt werden , kann man mit zwei bis sechs Monate Wartezeit rechnen und Alles was darüber hinaus geht, wird an den Hausarzt zurück überwiesen, also überhaupt nicht angenommen. Wer auf eine „routine“ – Endoskopie wartet, kann diese nur auf eigene Kosten, d.h. privat, durchführen lassen.

Selbstverständlich kann bei Zustandsverschlechterung jederzeit das „Emergency Department“ aufgesucht oder eine neue Überweisung geschrieben werden.

Man muss schon sehr genau hinsehen um zu erkennen, dass in Neuseeland nicht alles besser, sondern vieles anders organisiert ist. 





Zweiter Tag auf dem Milford Track 19.4.11

Der Gedanke, in einer Holzhütte mitten in der Wildnis an der Südspitze Neuseelands zu übernachten, weit entfernt von der nächsten Ortschaft, ist für mich noch etwas gewöhnungsbedürftig.

Wir sind von Queenstown zwei Stunden mit dem Bus und eine Stunde mit dem Boot unterwegs gewesen um hierher zu kommen. Nach einer kurzen Wanderung sind wir bei unserer ersten Unterkunft auf dem Milford Track, in dem „Glade House“ eingetroffen.

Am Abend wurde es schon sehr früh dunkel, da die hoch aufragenden Berge das Licht der untergehenden Sonne schlucken. Dafür hat man um sich herum absolute Stille, kein Auto- oder Flugzeuglärm weit und breit. Außer Vogelgezwitscher hört man hier nichts, nur wenn man genau hinhört, bemerkt man das Brummen des Generators, der die Elektrizität für unsere Hütte hergestellt. Der wird aber um zehn Uhr abends ausgeschaltet und erst um sechs Uhr morgens wieder gestartet, d. h. in dieser Zeit geht natürlich auch das Licht aus. Wer jetzt an die Taschenlampe gedacht hat, ist König.

Jeder ist bemüht, frühzeitig ins Bett zu kommen, wohl wissend dass der nächste Tag früh beginnt und lang sein wird.

Am nächsten Morgen begrüßt uns der Tag mit leicht bewölktem Himmel und klirrend frischen „mach mich wach“ Temperaturen. Es gibt natürlich keine Heizung in den Schlafräumen, dafür aber sehr bequeme Doppelstockbetten mit warmen Zudecken. 


(Blick auf Glade House morgens)

Es kostet schon ein bisschen Überwindung in die Kälte rauszugehen, aber das versprochene Frühstück wartet schon, also schnell fertig machen, ich bin ja hier nicht zum Faulenzen und lange ausschlafen hergefahren.

Bevor es aber mit dem Frühstück richtig losgehen kann, hat jeder die Gelegenheit, sich aus einem reichhaltigen Angebot von Köstlichkeiten sein eigenes Lunchpaket zusammenzustellen.
Auf mehreren Tischen sind die Zutaten aufgebaut, aus denen sich jeder so viel nehmen kann, wie er meint an diesem Tag unterwegs essen zu wollen:
Toastbrot, Aufschnitt, Salat, Käse, alle möglichen leckeren Soßen, Obst, Nüsse, Schokokekse, Rosinen, Nüsse, Trockenobst, Knusperriegel ...

Das Angebot ist so reichhaltig, das man Gefahr läuft, mit mehr Gewicht zurück zu kommen, als man beim Start auf die Waage gebracht hat. Andererseits verbrennt man beim Wandern auch viel Energie, also packe ich mir ein ordentliches Lunchpaket ein. Der Weg vor uns ist lang, da ist es besser ein paar Reserven für den kleinen Hunger zwischendurch mitzunehmen...




Nach dem Frühstück kann jeder nach belieben mit der Wanderung beginnen. Einer der Tour Guides startet zusammen mit dem ersten Wanderer und innerhalb einer halben Stunde folgen die restlichen Teilnehmer. 




Mittendrin gehen zwei Guides und am Schluss folgt ein Guide, der auch die langsamsten Wanderer einsammelt, damit niemand verloren geht. So kann jeder für sich selbst entscheiden, wie schnell er gehen möchte, ob alleine oder in einer Gruppe zusammen mit Anderen.

Die heutige Strecke vom „Glade House“ zur „Pompolona Lodge“ ist 16km lang und mit 5 bis 7 Stunden eine der kürzeren Strecken, welche wir in den nächsten Tage vor uns haben. 




Unterwegs gibt es immer wieder Abzweigungen zu besonderen Aussichtspunkten. Damit die Guides wissen, dass jemand vom Hauptweg abgezweigt ist, wurde vereinbart, den Rucksack im Hauptweg liegen zu lassen.

Die Guides kümmern sich sehr um unsere Sicherheit und sind auch sonst sehr um unser Wohlergehen bemüht, in dem sie die Teilnehmer beispielsweise mit einem heißen Tee an einem der Haltepunkte versorgen.




Der „Wetland Walk“, führt in ein Sumpfgebiet, das man nur über Holzstege erreicht. Man geht etwa eine viertel Stunde um dort hin zu gelangen, aber der Weg lohnt sich, denn von hier aus hat man einen weiten Blick in die Landschaft. 

Auf dem Hauptweg ist die freie Sicht manchmal wegen der hohen Bäume und Sträucher etwas eingeschränkt. 








 
Der Wanderweg ist sehr gut angelegt. Man geht auf einem ebenen, etwa ein bis zwei Meter breiten Pfad, der auf weiten Strecken an einem Fluss entlang führt. Das Wasser ist so klar dass man mühelos bis auf den Grund sehen kann.

Die Bäume und Sträucher sind alle mit Moos und Flechten überwachsen, so dass man immer wieder das Gefühl hat, durch einen Märchenwald zu gehen. 


















Auf halber Streck legen wir in einer Schutzhütte eine Pause für unser Lunch ein. In der Zwischenzeit hat es angefangen heftig zu regnen. In einer Gegend wo es an 200 Tagen im Jahr regnet, muss man immer damit rechnen, von einem Schauer überrascht zu werden. 






 
Wir haben Glück, der Regen hört zwischendurch immer wieder auf und die Sonne zaubert einen Regenbogen an den Himmel. Außerdem sehen wir jetzt auch die vielen Wasserfälle von den umliegenden Bergen herunterrauschen, die wir ohne Regen nicht gesehen hätten, denn ohne Regen gibt es diese Wasserfälle nicht. 




Kurze Zeit später regnet es wieder stärker und die Wasserfälle werden noch imposanter. Bis zum Abend wird es weiterregnen. Da bleibt nur die Hoffnung auf den nächsten Tag. Es regnet hier zwar relativ häufig, aber das Wetter ist doch sehr abwechselungsreich. 




Nach etwa fünf Stunden treffe ich bei der „Pompolona Lodge“ ein und werde von den Guides mit einem Erfrischungsgetränk begrüßt. Ich freue mich natürlich nach der Wanderung auf die heiße Dusche. 
Aber erst mal müssen noch die nassen Sachen im Trockenraum aufgehängt werden, damit sie am nächsten Tag (hoffentlich) wieder trocken sind. 





Nach dem Duschen gibt’s im Gemeinschaftsraum Kaffee und Tee, dazu gibt’s ein paar Scones bzw. Gebäck. Man kommt nicht mal ansatzweise dazu, Hunger zu entwickeln. 




Gegen 19:00 Uhr gibt es Dinner (wieder ein leckeres 3-Gänge-Menue) und anschließend erfahren wir alle wichtigen Informationen für den nächsten Tag.

Morgen werden wir die anstrengendste Strecke zu bewältigen haben, denn es liegt der Aufstieg zum „Mackinnon Pass“ vor uns. Davon werde ich das nächste Mal berichten ...