Samstag, 25. Dezember 2010

Adventszeit und Weihnachten im Sommer



Diesmal geht es u.a. um:

Fragen zu Weihnachten in Neuseeland





Wird in Neuseeland überhaupt Weihnachten gefeiert? Gibt es besondere Rituale und Gebräuche? Was wird zu Weihnachten gegessen? Wie ist das Wetter zu dieser Jahreszeit? Sind die Geschäfte auch „weihnachtlich“ geschmückt?


Das sind nur einige der Fragen, die mir gestellt wurden und ich fange vielleicht damit an, was ich alles in der Weihnachtszeit hier NICHT gesehen habe:


Schnee, Weihnachtsmärkte, Glühweinstände, Dauerbeschallung mit Weihnachtsliedern im Radio oder in Geschäften, Weihnachtskalender mit 24 Türchen zur Schokoladenverführung, Plastik-Weihnachtsmänner im Garten, blinkende Weihnachtssterne in der Fenstern, Straßenzüge mit Lichterketten an Privathäusern


– alles Fehlanzeige, nicht vorhanden.





In den Geschäften steht die eine oder andere Weihnachtsdekoration, es wird aber längst nicht so viel dekoriert, wie es in Deutschland üblich ist.

Und an Privathäusern sehe ich nur sehr selten, dass sie von außen weihnachtlich geschmückt sind.






Für Neuseeländer beginnt mit Weihnachten der Sommer und da es aufgrund der gesetzlichen Feiertage jeweils vier freie Tage zu Weihnachten und zu Neujahr gibt, nutzen viele Leute die Gelegenheit zu einem Kurzurlaub.


Der 24.12. (Heiligabend – Christmas Evening) ist übrigens ein ganz normaler Arbeitstag, dem keine besondere Beachtung geschenkt wird.


Christmas wird erst am 25.12. gefeiert. Man trifft sich mit der Familie oder Freunden zum Essen, welches z.B. aus einen Barbecue oder einem kalten bzw. einem warmen Braten bestehen kann. Jeder hat da seine eigenen Vorstellungen.


Von einer „typisch“ neuseeländischen Art eines Weihnachtsessens oder von speziellen Gebräuchen (außer, alles sehr relaxt zu sehen) habe ich jedenfalls bisher noch nichts gehört.


Das Wetter ist auf jeden Fall grundlegend anders als in Deutschland zu dieser Jahreszeit. Vor ein paar Tagen gab es reichlich warmen Regen (bei 19 – 25 Grad), was die Farmer sehr gefreut hat, da die größte Sorge im Sommer darin besteht, es könnte nicht genug Gras wachsen, um das Vieh zu ernähren.





Wenn kein regen fällt, hilft es auch nicht, auf der anderen Seite des Zauns zu gucken. Ohne Regen wächst das Gras einfach nicht.





Die genügsamen Highland-Rinder interessiert das aber überhaupt nicht. Bei Wind und Wetter stehen sie draußen und geben sich auch mit ein paar trockenen Grasbüscheln zufrieden.





Gestern und heute war es wieder mal sehr stürmisch und für die nächsten Tage ist wieder Sonnenschein mit sommerlichen Temperaturen angesagt. Wie soll dabei Weihnachtsstimmung aufkommen?


Wenn ich aber höre, was für Temperaturen gerade in Deutschland herrschen, kann sich jeder vorstellen, was ich über meine Rückkehr denke. Nein, ich bleibe lieber noch ein bisschen hier...


Frohe Weihnachten

und Alles Gute zum Neuen Jahr

Montag, 6. Dezember 2010

Kein Grund zur Sorge – der Blog geht weiter



Diesmal geht es u.a. um:

Alles mögliche, was in der Zwischenzeit passiert ist

Bodendienst auf dem Segelflugplatz

Ein Stern in Wellington

Fahrtauglichkeit

Praxiswechsel zur Halbzeit






In der Zwischenzeit gab sehr viele Dinge zu erledigen und natürlich bin ich nicht nur zum Arbeiten nach Neuseeland gekommen, daher hatte ich mit dem schreiben an meinem Blog eine etwas längere Pause eingelegt. Sorry an alle, die sich Sorgen um mich gemacht haben, weil sie nichts von mir gehört haben.


Es wurde aber auch höchste Zeit, mal richtig Urlaub zu machen. Auch wenn der Eine oder Andere meint, ich sei hier ja sowieso die ganze Zeit im Urlaub, so ist es doch recht anstrengend, ganz auf sich alleine gestellt alle möglichen Herausforderungen meistern zu müssen. Jetzt, nach drei Wochen Abstand vom Alltag, geht es mit neu aufgetankten Batterien wieder weiter.


Aber eins nach dem anderen. Ich beginne dort, wo ich zuletzt aufgehört hatte.





Die „Stürmischen Zeiten“ waren nicht nur witterungsbedingt bald zu Ende, auch meine Tätigkeit in der alten Praxis neigte sich dem Ende zu. Ich hatte meinen Vertrag gekündigt, da ich feststellen musste, deutlich weniger Gehalt zu erhalten, als vertraglich vereinbart war. Auch in dem schönen Neuseeland, das man ja eigentlich in allen möglichen (Reise-) Berichten als „Paradies auf Erden“ vorgestellt bekommt, muss man sich vor Gaunern in Acht nehmen und kann sich nicht auf das verlassen, was einem versprochen wird.





Da ich eine Kündigungsfrist von 4 Wochen vereinbart hatte, dauerte mein Anstellung noch bis zum 15. Oktober. Unter der Voraussetzung, ein stressfreies Arbeitsklima vorzufinden, war ich bereit, meine Arbeit dort bis zum Vertragsende fortzusetzen.


Viel Kontakt mit meiner Kollegin hatte ich ohnehin nicht, da sie es vorzog, Urlaub zu machen und mir das Arbeiten überließ. Die Zeit bis zu meinem Abschied von dieser Praxis verging dadurch recht schnell.





Treffen mit meinem Supervisor und den NZLocums am 16.09.10


Kurze Zeit nach meiner Kündigung treffe ich mich mit meinem Supervisor sowie mit einigen Mitarbeitern der Organisation (NZLocums), die mir bisher bei allen möglichen Formalitäten geholfen hatten, um zu besprechen, wie es für mich mit meiner Arbeit als Hausarzt in Neuseeland weitergehen kann.





Ich erhalte am gleichen Tag zwei neue Stellenangebote, beide mit vergleichbar guten Konditionen:


Feste Anstellung mit einem Gehalt wie ich es von Deutschland her kenne,

bezahlter Jahresurlaub und bezahlte Fortbildungsangebote

(so einen Luxus kannte ich als Selbständiger bisher nicht),

Arbeitszeiten nach Wunsch,

keine Nachtdienste oder Überstunden,

Bereitschaftsdienste nach Absprache mit Extravergütung.



(Was gibt’s denn da zu gucken?)


Ich muss mich nur entscheiden, welche der beiden Stellen mir mehr zusagt. Natürlich möchte ich mir beide Praxen in Ruhe ansehen und ein paar Nächte darüber schlafen, bevor ich mich für eines der Stellenangebote entscheide.





Zur Auswahl gibt es eine alt eingesessene Gemeinschaftspraxis mit einem großen Patientenstamm, einem gut eingespielten Praxisteam, einem Kollegen, der als Teilzeitkraft an drei Tagen pro Woche arbeitet und zwei Seniorpartnern, die beide in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen und einem Nachfolger die Praxis übergeben möchten. Die Praxis ist zentral im Stadtzentrum gelegen, in einem großzügigen, freistehenden Haus (wie es hier üblich ist) mit großen Parkplatz für die Patienten. Alle Arbeitsplätze sind mit einem zentralen Server verbunden, die Karteikarten werden vollständig im Computer geführt. Ich nehme eine sehr freundliche und ruhige Arbeitsatmosphäre wahr.





Ein paar Tage später besuche ich die zweite Praxis, die in einem großen Gesundheitszentrum untergebracht ist, in dem stationäre und ambulante Versorgungseinrichtungen, wie z.B. zwei Hausarztpraxen, eine Apotheke, ein großes Labor, eine Röntgenabteilung, eine Bettenstation und mehrere Spezialambulanzen die Versorgung der örtlichen Patienten übernehmen. Das Zentrum wurde 2007 eröffnet, alle Räume sind hell, freundlich und modern eingerichtet.





In der Praxis gibt es vier Arztstellen, die bisher zum größten Teil von Locums (Ärzten von Übersee) besetzt waren, die zwischen einem und sechs Monaten dort arbeiteten. Eine Versorgungskontinuität ist dabei natürlich nicht möglich, die Praxis war insofern sehr daran interessiert, einen Arzt zu finden, der längerfristig (also wenigstens für ein Jahr) bleiben würde. Auch in dieser Praxis sind alle Arbeitsplätze an einen zentralen Server angeschlossen, die Karteikarten werden auch hier papierlos per Computer geführt. Auch hier nehme ich eine sehr freundliche und ruhige Arbeitsatmosphäre wahr.





Es ist wirklich schwierig, sich zwischen zwei Praxen (einer alteingesessenen und einer relativ neuen) zu entscheiden, die beide einen guten Eindruck vermitteln und vergleichbare Arbeitskonditionen anbieten. Woran soll man sich orientieren?


Da bleibt mal wieder nur das Bauchgefühl und das sagt mir bei der Praxis im Gesundheitszentrum eher zu. Meine Entscheidung ist, nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, gefallen. Die zweite Praxis bekommt meine Zusage.


Am 18. Oktober werde ich in der neuen Praxis anfangen, auch wenn ich mir bisher nicht vorstellen konnte, mal in einem Gesundheitszentrum zu arbeiten. Bis es mit meinem neuen Job losgehen kann, gibt es aber noch einiges zu organisieren.





So muss ich mich z.B. um ein neues Auto kümmern. Den Wagen den ich momentan fahre, gebe ich am letzten Tag bei meiner alten Praxis wieder ab. So richtig traurig bin ich darüber ehrlich gesagt nicht, da es sich um ein etwas älteres japanisches Modell handelt, bei dem ständig ein Warnlicht rot aufleuchtet, das „Check Engine“ (Motor überprüfen) anzeigt. Es würde sich um einen Wackelkontakt handeln, das Warnlicht habe nichts zu bedeuten, hat man mir auf Nachfrage versichert. Na, ich weis nicht, ob ich mich darauf verlassen kann. Ich sehe mich jeden Moment mit einem kaputten Auto am Straßenrand stehen, was aber glücklicherweise nicht eintritt.



(Tui)


Mein Arbeitsvisum muss ich durch den Arbeitsplatzwechsel auch ändern lassen. Dafür werde ich wieder einen Nachmittag nach Wellington fahren müssen und bei „Immigration New Zealand“ eine sogenannte „Variation of the conditions“ beantragen, selbstredend nicht für umsonst!

Die Bürokraten, meine Lieblinge, sehen mich also bald wieder :-)



(Tui)



Mit Errol auf dem Segelflugplatz in Paraparaumu 19.09.10


Die Neuseeländer sind vom Fliegen total begeistert. Überall gibt es kleine Sportflugplätze und am Wochenende sieht man viele Flieger am Himmel unterwegs. Von oben hat man natürlich einen total schönen Ausblich auf das Land.





Errol, mein Vermieter nimmt mich heute mit nach Paraparaumu, wo er Mitglied des Segelflugvereins ist und am Wochenende für die Bodenkontrolle eingeteilt ist. Ich bin heute nur zum Zusehen mitgekommen. Für mich ist es das erste Mal, das ich Segelfliegen so hautnah erlebe.





Der Flugbetrieb wird von nur drei Leuten organisiert: Dem Piloten in der Maschine, mit der die Segelflieger hochgezogen werden, dem Fahrer des Bodenfahrzeuges, welches die Flieger in Position bringt oder vom Flugfeld wieder abholt und einem Einweiser am Boden, der Abflug- und Ankunftzeiten notiert und für die Sicherheit am Boden verantwortlich ist.





Die Tararua Ranges mit einer Ausdehnung von über 100 km sind für die Segelflieger natürlich optimal, da bei entsprechenden Windverhältnissen durch die Thermik stundenlanges Fliegen entlang der Berge möglich ist.





Ausgerechnet heute muss einer der Segelflieger notlanden. Er schafft es nicht mehr auf das Flugfeld zurückzukehren, hat aber ein Riesenglück unverletzt zu landen, da er mitten in einem Wohngebiet auf einer Straße herunter kommt. Glücklicherweise ist niemand auf der Straße und das Segelflugzeug wird durch zwei Pfeiler an einem Fußgängerüberweg gestoppt. Der Materialschaden ist natürlich erheblich, aber der Pilot kommt noch einmal mit dem Schrecken, aber ohne einen Kratzer davon.





Da hier fast über jedes besondere Ereignis in den Abendnachrichten berichtet wird, sehen wir uns abends den Hintergrundbericht zu dem Absturz an.


Ich glaube, ich überlege mir das noch mal mit dem Segelfliegen...



(Te Papa Museum in Wellington)



Besuch beim Mercedes-Händler in Wellington 25.09.10


Eigentlich habe ich ja überhaupt nicht eingeplant, mir hier auch noch ein Auto kaufen zu müssen. Andererseits wäre es natürlich schön, nach den Erlebnissen mit dem japanischen „Check Engine“ - Fahrzeug, einen fahrbaren Untersatz zu finden, der etwas mehr Fahrkomfort und Zuverlässigkeit bietet.





Mehr aus Neugierde als aus konkretem Interesse besuche ich bei meinem nächsten Ausflug nach Wellington den lokalen Händler mit dem Stern und bin erstaunt, dass ein Gebrauchtfahrzeug im Vergleich zu Deutschland gar nicht so teuer ist. Die Neuwagenpreise sind für mich natürlich außer Reichweite, aber unter den Gebrauchten gibt es doch einige interessante Angebote. Hier stehen so viele schöne Fahrzeuge herum, dass ich mich für heute noch nicht entscheiden möchte, welches davon in die nähere Auswahl kommt.





Ich werde in den nächsten Tagen mal unter „Trade.me“, der Neuseeländischen Version von „Ebay“ gucken. Dort, so sagt man mir, werden sehr viele Autos inseriert. Tatsächlich finde ich ein paar Tage später ein echtes Schnäppchen.


Ein Ehepaar, welches demnächst ins Ausland geht, möchte ihren Wagen baldmöglichst verkaufen und bieten ihn entsprechend günstig an. Natürlich habe ich nicht die gleichen Garantieleistungen wie beim Mercedes-Händler, dafür ist er aber deutlich günstiger. Und ich gehe mal davon aus, das ein acht Jahre alter Mercedes noch eine Weile fährt, bevor die ersten größeren Reparaturen fällig sind...





Der Kaufvertrag und die Ummeldung ist hier Kiwi-typisch ganz einfach geregelt: Man gibt beim Postshop ein Formular ab, welches dem „Department of Transportation“ den Besitzerwechsel (change of ownership) anzeigt. Mehr ist eigentlich nicht erforderlich. Ein paar Tage später erhält man per Post die Bestätigung, dass der Besitzerwechsel registriert wurde. Also kein langes Anstehen bei irgendwelchen Behörden. Da hat man hier besseres zu tun :-)


Eine Versicherungspflicht besteht nicht. Wenn man sich vor Schaden durch andere schützen möchte, muss man sich selbst um eine Versicherung kümmern, da es einem andernfalls passieren kann, das der Unfallgegner keine Haftpflichversicherung hat. Personenschäden werden allerdings von der stattlichen ACC (Accident Compensation Corporation) abgedeckt.


Gebrauchtfahrzeuge, welche älter als fünf Jahre sind , müssen alle sechs Monate zum TÜV, was in Neuseeland „Warranty of Fitness“ heißt. Auf Fahrzeugsicherheit wird hier also sehr großen Wert gelegt.






Fahrtauglichkeitsuntersuchung 06.10.10


Zu meinen Aufgaben als Hausarzt gehört es hier, Patienten auf ihre Fahrtauglichkeit hin zu untersuchen. Wenn jemand seinen Führerschein beantragt, muss er nachweisen, das er „medical fit for driving a vehicle“ ist. Berufskraftfahrer und Menschen über 75 Jahre müssen sich alle zwei Jahre untersuchen lassen.


Die Messlatte für das Bestehen bzw. den Nachweis der Tauglichkeit ist nicht sehr hoch gelegt, aber hoch genug, um jemanden vom Fahren mit einem Fahrzeug abzuhalten, der sich selbst oder andere aufgrund einer Gesundheitsstörung gefährdet.



(Frühling in Wellington)


Wenn beispielsweise eine Epilepsie (cerebraler Krampfanfall) festgestellt wird, ist derjenige für ein Jahr fahrunfähig, bis sichergestellt ist, dass z.B. durch Medikamente die Gefahr von weiteren Krampfanfällen beseitigt ist.


Man kann sich vorstellen, wenn alle Menschen ihre Fahrtauglichkeit ab dem Alter von 75 Jahren alle zwei Jahre untersuchen lassen müssen, dass Hausärzte in Neuseeland diese Untersuchung recht häufig durchführen.


Mir wird dabei vor allem bewusst, wie sehr die Leute auch in hohem Alter noch auf ihr Auto angewiesen sind. Wer in diesem Alter nicht mehr fahren kann ist aber keineswegs von allen Außenaktivitäten abgeschnitten. Es gibt alle möglichen Fahrdienste und man erhält quasi als Ersatz für den Führerschein ein Gutscheinheft für Taxifahrten, mit dem man sich für einen relativ geringen Betrag per Taxi von A nach B fahren lassen kann.


Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Menschen über 80 zu mir zur Untersuchung kommen und ein „Medical Certificate for Drivers License“ erhalten möchten.



(Frühling in Wellington)


Meine Vorstellungen von älteren Menschen, insbesondere meine Erfahrungen bezüglich der Fitness von über Achtzigjährigen, werden hier völlig über den Haufen geworfen.


Viele meiner Patienten in Deutschland waren über 80 Jahre alt und natürlich gab es darunter auch Menschen, denen man das Alter angesehen hat bzw. die in ihren Leistungsfähigkeiten schon recht stark eingeschränkt waren. Trotzdem gab es immer wieder vereinzelt Ausnahmen, Menschen die weit über 80 Jahre alt waren und ungeachtet ihres Alters körperlich und geistig sehr aktiv ihr Leben gestalteten, lernten, mit dem Internet umzugehen (und mir auch heute noch E-mails schreiben) oder wie selbstverständlich mit fast 90 Jahren jährlich einige Monate nach Mallorca fliegen, um dort den Winter zu verbringen.


Hier hat sich mein Bild insofern verändert, als ich den Eindruck habe, dass es hier nichts besonders Außergewöhnliches ist, mit weit über 80 noch „fit wie Turnschuh“ zu sein. Ich muss immer zweimal gucken, wenn ich auf meiner Karteikarte sehr, dass jemand z.B. 83 Jahre alt ist und dann kommt mir jemand entgegen, den ich vom äußeren Eindruck vielleicht gerade mal als Siebzigjährigen einschätzen würde.



(Frühling in Wellington)


Besonders beeindruckt hat mich Harry, der kürzlich zur Fahrtauglichkeitsuntersuchung kam. Da die Untersuchung bei über 75jährigen alle zwei Jahre durchgeführt wird, habe ich die Möglichkeit, mir die Ergebnisse der Voruntersuchung anzusehen. Diesbezüglich gab es zu Harry aber keine besonderen Auffälligkeiten, wie ich es aufgrund seines Alters eigentlich erwartet hätte.


Ich hole meine Patienten immer selbst aus dem Wartezimmer ab, so habe ich schon einen gewissen Eindruck, wie sie sich bewegen, ob schnell oder langsam, wie sicher sie gehen, ob mir Gehstock oder ohne.


Nachdem ich Harry begrüßt hatte und er mir sein Anliegen erklärt hatte, fragte ich nach seinem gesundheitlichen Befinden, ob er in letzter Zeit Veränderungen seiner Gesundheit festgestellt habe und führte ich wie immer meine Untersuchungen durch. Dazu messe ich z.B. den Blutdruck, überprüfe die Sehfähigkeit, grobe Kraft, Feinmotorik und Koordination. Bei allen Untersuchungen konnte ich keinerlei Abweichungen vom Normalbefund feststellen. Ich konnte nur feststellen, dass er wirklich fit ist.

Harry ist 95 Jahre alt.






Mein letzter Tag in der Praxis 15.10.10


Nach den Erfahrungen der letzten Zeit hatte ich für meine Verabschiedung am letzten Tag nicht viel Gutes erwartet. Von den Praxismitarbeitern hatte ich mich schon in den letzten Tagen verabschiedet und mich für ihre Unterstützung bedankt.


Trotz der Abhängigkeit von ihrem Arbeitgeber hatten mich die Mitarbeiter, so gut es ging, in meiner Arbeit unterstützt. Zumindest spürte ich eine Form von Betroffenheit, die mir zeigte, dass sie alle nicht sehr glücklich über die Form der Praxisführung waren, aber aus der Position eines Angestellten daran nichts ändern konnten.


Die Verabschiedung von der Praxisleitung war so, wie ich es erwartet hatte. Durch ihr Verhalten stellte sich die Kollegin wie auch ihr Mann selbst ein Armutszeugnis aus. „Sie sei sehr enttäuscht“ waren ihre Abschiedsworte an mich. Ich konnte ihr nur entgegnen, dass es mir mit ihr nicht viel anders erging. So ging diese leidige Geschichte zumindest vorläufig zu Ende.


Das juristische Nachspiel wird in den nächsten Monaten seinen Lauf nehmen, da ich nicht bereit bin, auf meine vertraglich vereinbarte Bezahlung einfach zu verzichten.

Juristische Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen...





Erster Tag in meiner neuen Praxis 18.10.10


Nach einem schönen Wochenende und mit dem Gefühl einen riesigen Ballast abgeworfen zu haben fange ich heute in meiner neuen Praxis an. D.h. alles ist neu, die Mitarbeiter, die Arbeitsabläufe, das Computersystem. Ich muss wieder viele Fragen stellen und alle sind ausgesprochen geduldig, mir alles zu erklären und zu zeigen.


Der Neuanfang macht mir sehr viel Spaß. Natürlich ist es beschwerlich, sich wieder in neue Strukturen einzuarbeiten, aber daran habe ich mich nach den vielen Wechseln in der letzten Zeit schon gewöhnt. Ich sehe es eher als Herausforderung an. Und natürlich hält es einen fit. Keine Routine, jeden Tag etwas Neues.


Ich werde von allen Seiten sehr gut unterstützt. Mit mir zusammen fängt ein Kollege aus Kanada an, der das nächste Jahr hier arbeiten wird. Wir sind also zu zweit in der gleichen Situation und nutzen die Gelegenheit, uns über unsere Erfahrungen auszutauschen.


Die kommenden 14 Tage habe ich Zeit, mich sorgfältig in alles einzuarbeiten. Dann habe ich erst mal drei Wochen Urlaub. Endlich Zeit, das Land in Ruhe zu bereisen und etwas mehr von Neuseeland kennen zu lernen.


Ich bin jetzt ein halbes Jahr hier und habe es keinen Tag bereut, mich auf den Weg gemacht zu haben. Trotz aller Schwierigkeiten überwiegen eindeutig die positiven Eindrücke und ich sehe jeden Tag als ein Geschenk.


Natürlich bin auch ich gespannt, wie das Jahr weitergehen wird. Ich werde berichten ...



(Frühling in Levin)


Sonntag, 24. Oktober 2010

Stürmische Zeiten

Diesmal geht es u.a. um:
Kapiti Coast
Cannon Point Walkway
Erfahrungen und Lehrgeld zahlen





Wanderung auf dem Cannon Point Walkway im Hutt Valley, Wellington 04.09.10

Brrrr, heute morgen ist es noch richtig frisch draußen. Nachts ist es wieder reichlich abgekühlt, auf 4 Grad. Dafür werde ich morgens früh mit Sonnenschein geweckt! Total klares Wetter haben wir, so dass ich die schneebedeckten Berge der Tararua Range viel besser sehen kann als sonst.




Bei so schönem Wetter überlege ich nicht lange, sondern suche mir eine der vielen Wanderungen raus, die auf meinem Zettel der Unternehmungen steht, die ich schon immer mal machen wollte. Der Cannon Point Walkway im Akatarawa Forest soll es heute sein. Einen schönen Ausblick auf das Hutt Valley und auf Wellington soll man von dort oben haben.
So steht’s jedenfalls in der Wegbeschreibung, die man in einem der vielen „iSite“ Informationszentren erhält.

Auf der etwa einstündigen Fahrt zum Ausgangspunkt des Cannon Point Walkway fahre ich über die Paekakariki Hill Road. Von dem ersten Aussichtspunkt an der Bergstraße, die bei Paekakariki Richtung Upper Hutt und Wellington abzweigt, hat man einen tollen Ausblick auf die Küste vor Kapiti Island.
Heute ist es so klares Wetter, dass man sogar die Berge der Südinsel am Horizont sehen kann.



Richtung Norden liegt Kapiti Island und die Kapiti Coast. Wie man sieht, ist der Strand unendlich lang und die Strandspaziergänge können es auch sein, wenn man genügend Zeit mitbringt.



Ich fahre die sehr kurvige Paekakariki Hill Road immer weiter entlang und bin mal wieder hin und weg von den Natureindrücken in dieser Region. Gelegentlich sehe ich einzeln stehende Häuser in dieser sonst menschenleeren Gegend und frage mich, wie Leute gerade hier auf die Idee kommen können, ein Haus zu bauen und völlig abgeschieden zu leben. Es ist zwar nicht sehr weit bis Wellington entfernt, aber für mich Stadtmenschen ist es unvorstellbar, so weit außerhalb einer Stadt oder eines Ortes zu leben.

Auf der anderen Seite der Tararua Range, dort wo die Vororte von Wellington beginnen, stehen Häuser dicht an dicht gedrängt und ich habe den Eindruck, jedes Stückchen bebaubare Erde wurde parzelliert und in Bauland verwandelt.

Meinen Wagen stelle ich an einem öffentlichen Parkplatz ab, von dem der Cannon Point Walkway gut ausgeschildert losgeht.



Wie so häufig gibt es mehrere Wege, für die man sich entscheiden kann um ans Ziel zu gelangen. Heute habe ich den kurzen aber sehr steilen „zig-zag“-Weg und die „Valley View Road“ zur Auswahl. Ist doch klar, dass ich mich für die Valley View Road entscheide. Das klingt mir weniger anstrengend und ich bin ja nicht hier um schnell anzukommen.
Ich habe ja Zeit und möchte natürlich auch die schöne Aussicht genießen.



Scheinbar bin ich heute wieder der einzige unterwegs. Nur selten treffe ich andere Leute auf meinem Weg nach oben. Nach einem längeren Aufstieg werde ich mit einem wunderschönen Ausblick auf das Tal des Hutt River belohnt. Ich kann von hier aus bis nach Wellington blicken.

Was ich von hier oben allerdings auch sehen kann sind die vielen Häuser, die dicht an dicht gebaut wurden.



Nach dem Aufstieg habe ich mir eine kleine Rast verdient. Auf den umliegenden Berggipfeln liegt noch Schnee. Hier in der Sonne ist es angenehm warm. So warm, dass die Schmetterlinge um mich herum flattern und die riesigen Farne ihre ersten neuen Blätter bekommen.

Der Frühling müsste demnächst beginnen, sieht hier allerdings etwas anders aus, als ich es von Deutschland gewohnt bin. Die schönen Tage werden unterbrochen von heftigen Stürmen mit Regenschauern. Heute ist davon zum Glück nichts zu spüren.












Auf meinem Weg zurück zum Wagen gehe ich an riesigen Farngewächsen vorbei, die ca. 3 bis 5 Meter groß sind. Einige Strecken des Weges führen über Privatgelände, welches zu Fuß überquert werden kann. Schilder weisen darauf hin, dass die Wege nicht verlassen werden sollen und Hunde an der Leine zu führen sind.

Ich dachte immer, solche Schilder gibt es nur in Deutschland :-)






Auf meinem Rückweg nach Levin fahre ich der untergehenden Sonne entgegen und muss noch ein paar Aufnahmen von der Umgebung machen. Es gibt schon sehr schöne Gegenden hier, wo so viele Leute auf den umliegenden Hügeln wohnen möchten, dass ein Haus neben das nächste gebaut wurde.






Da in Wellington die Grundstückspreise relativ teuer sind, ziehen viele Menschen in die umliegenden Orte und nehmen es lieber in Kauf, jeden Tag mit der Bahn oder dem Auto zu fahren.



Da kann ich mich glücklich schätzen, in Levin nur wenige Minuten von meiner Arbeitsstelle entfernt zu wohnen. Verkehrsstaus sind für mich zu einem Fremdwort geworden. Auf meinen Ausflügen in den letzten Wochen habe ich kein einziges Mal im Stau gestanden!

Irgendwie muss es sich ja bemerkbar machen, dass Neuseeland „nur“ 4,4 Millionen Einwohner hat (16 pro km2) im Gegensatz zu Deutschland mit 81 Millionen Einwohnern (229 pro km2).





Erfahrungen für’s Leben 14.09.10

Es sind nicht immer die besten Erfahrungen, die man hier macht. Man lernt aber immer etwas Neues dazu und manche Erfahrungen sind leider nicht kostenlos.
Das ist Lehrgeld, welches man leider zahlen muss, wenn man sich auf unbekanntes Gebiet vorwagt.



Mir war schon bewusst, in einem für mich völlig fremden Land möglicherweise auch in Situationen zu kommen, in denen ich als Unerfahrener auch mal übervorteilt werde. Dass mir so übel mitgespielt wird, von Leuten denen ich mein volles Vertrauen geschenkt hatte, damit habe ich allerdings nicht gerechnet. Worauf sonst sollte ich mich den verlassen können, wenn nicht auf Informationen, die ich von scheinbar vertrauenswürdigen Menschen erhalten habe.

Wenn aber Versprechungen gemacht werden, die nicht eintreten oder sich Dinge völlig anders entwickeln als sie sich im Regelfall hätten entwickeln müssen, ist man enttäuscht, verärgert und mehr als stinksauer, nicht fair behandelt worden zu sein.

Zu einer fairen Behandlung gehört für mich u. a. eine adäquate Entlohnung für die geleistete Arbeit. Man versicherte mir von unterschiedlichen Seiten, der mir vertraglich zugesicherte Anteil am Praxisumsatz wäre durchaus ortsüblich und ich ging davon aus, gerecht behandelt zu werden.




Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, waren genaue Angaben über die Zusammensetzung und die Größenordnung des Praxisumsatzes.

Zu Beginn meiner Tätigkeit in Levin erhielt ich einen für mich enttäuschend niedrigen Betrag ausgezahlt und dachte, es läge daran, als „Anfänger“ mehr Zeit zu benötigen und entsprechend weniger Patienten behandeln zu können. Das würde zumindest teilweise einen niedrigen Praxisumsatz erklären.

Nach etwas mehr als zwei Monaten musste ich leider feststellen, dass mein Einkommen sich weiterhin auf sehr niedrigem Niveau bewegte. Also unterhielt ich mich mit einigen ortsansässigen Kollegen über die sonst übliche Bezahlung von Locums (so heißen die Ärzte aus Übersee hier) und erfuhr auf diesem Wege, noch nicht mal die Hälfte des Ortsüblichen zu erhalten. Bingo. Das war Grund genug, den geschlossenen Vertrag sofort zu kündigen.

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, sooo viel dazuzulernen! Das reicht mir erst mal an Erfahrungen. Diesen Fehler werde ich sicher kein zweites Mal machen.



Hausärzte werden in Neuseeland dringend gesucht. Der Versorgungsengpass ist vergleichbar mit der Situation in Deutschland. Ländliche Regionen sind auch hier stärker vom Hausärztemangel betroffen. Viele der frisch ausgebildeten Mediziner gehen erst mal ein paar Jahre ins Ausland, z.B. nach Australien, weil die Verdienstmöglichkeiten dort noch attraktiver sind.

Glücklicherweise gibt es aufgrund des Hausärztemangels in dieser Gegend unendlich viele Stellenangebote zur Auswahl und ich habe von sehr vielen Leuten weitreichende Unterstützung bekommen. Innerhalb von einem Tag erhielt ich zwei Stellenangebote mit Vertragsbedingungen, von denen ich vorher nicht zu träumen gewagt hätte.

Ich bin froh, diese Fehlentwicklung frühzeitig bemerkt und zügig meine Konsequenzen gezogen zu haben. Es wird also wieder einige Veränderungen geben, ich hoffe zum Besseren :-)
Jedem Kollegen, der in Neuseeland als Hausarzt arbeiten möchte, kann ich nur raten, sich den Vertrag ausreichend lange vor Arbeitsbeginn geben zu lassen.

Finger weg von Verträgen, die nur einen prozentualen Anteil am Praxisumsatz ausweisen. Es sollte aus dem Vertrag klar hervorgehen, welcher Betrag pro Stunde oder pro Session (so wird hier ein Arbeits - Vormittag oder – Nachmittag genannt) gezahlt wird, so dass man bereits vorher genau weis, welches Gehalt (hier üblicherweise vierzehntägig) vertraglich zugesichert wird.



Ich erfahre leider erst im Nachhinein, nicht der Erste zu sein, der in dieser Praxis so über den Tisch gezogen wurde. Das Ganze hat hier offensichtlich System und hat dazu geführt, dass schon mehrere Locums vor mir nach kurzer Zeit diese Praxis und meistens auch den Ort wieder verlassen haben.

Wegen einer Kündigungsfrist von vier Wochen kann ich die Praxis leider nicht sofort verlassen. Außerdem gefällt es mir hier sehr gut und möchte aus der Stadt nicht wegziehen. Ich werde also die nächsten vier Wochen weiter in dieser Praxis arbeiten, vorausgesetzt die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich nicht noch weiter.

Die Zeit vergeht hier erfahrungsgemäß wie im Fluge und die vier Wochen werden ruck zuck vorbei sein. In der Zwischenzeit muss ich mich noch um viele Dinge kümmern (diverse Ummeldungen wegen der neuen Arbeitsstelle, Visum ändern, einen Wagen kaufen, da mein jetziger Wagen von der Praxis gestellt wurde).
Natürlich werde ich die Zeit auch für eine fundierte Rechtsberatung nutzen...



In den nächsten Tagen spreche ich mit vielen örtlichen Kollegen sowie mit Vertretern unterschiedlicher Organisationen. Alle schütteln nur den Kopf und sind peinlich berührt, als sie hören, wie sich die Praxisinhaberin mir gegenüber verhalten hat.

Viele der Leute, mit denen ich spreche, haben Bedenken, dass dieses Fehlverhalten ein schlechtes Bild auf ihre Stadt, die Kollegen oder ihr Land werfen könnte. Mit alledem hat es m. E. nichts zu tun. Ganz eindeutig handelt es sich um ein raffgieriges Verhalten von Einzelnen, die selber erst vor wenigen Jahren in dieses Land gekommen sind.

Gauner (wie Ulrich Wickert in seinem Buch „Gauner muss man Gauner nennen“ sehr schön beschreibt) gibt es überall auf der Welt und ich hatte eben das Pech, auf solche zu treffen.



Ab Mitte Oktober werde ich in einer anderen Praxis im gleichen Ort arbeiten. Zu deutlich besseren Konditionen mit einem Einkommen, etwa auf dem gleichen Niveau wie in Deutschland. Zu den Konditionen gehören u. a. geregelte Arbeitszeiten, bezahlter Jahresurlaub, eine entspannte Arbeitsatmosphäre mit ca. 25 bis 30 Patienten pro Tag und ein gut organisiertes Praxis-Team. Ich kann es noch nicht so recht glauben, aber meine ersten Kontakte und Eindrücke bezüglich der neuen Praxis sind alle sehr positiv.
Ich werde also in Zukunft hoffentlich bessere Erfahrungen machen.

Stürmische Zeiten gehen irgendwann auch mal vorbei...