Donnerstag, 26. August 2010

Hier bin ich Hausarzt, hier darf ich's sein :-)

Diesmal geht es u.a. um:


Endlich wieder Arbeit :-)

Besuch in „Zealandia“

Mit Willi zum Taputeranga Marine Reserve

Geschichten über das „Paipatonga Scenic Reserve“ in Levin





Meine ersten Arbeitstage in Levin 19.07.10


Es ist ein bisschen wie der Sprung ins kalte Wasser, was mich in Levin erwartet. Natürlich haben mir die letzten vierzehn Tage mit Supervision in der Praxis Nahe Hamilton sehr geholfen, mich in die neue Versorgungsrealität einzuarbeiten. Dort hatte ich einen persönlichen Ansprechpartner, den ich jederzeit fragen konnte, wenn etwas für mich neu oder unklar war.


Aber wenn man dann alleine vor der Aufgabe steht, eine Praxis zu betreiben, ist einem schon etwas mulmig zumute. Meine neue Praxiskollegin hat nämlich meinen Einstieg dazu genutzt, eine Woche Urlaub zu machen, d.h. ich arbeite in meiner neuen Praxis in Levin die erste Woche alleine.

Für Notfälle ist die Kollegin erreichbar, glücklicherweise tritt kein Notfall ein.



(Am Strand in Wellington)


Auch hier muss ich mich in viele Dinge komplett neu einarbeiten, weil jeder Praxis anders organisiert ist. Ein anderes Computersystem, andere Praxisabläufe und auch eine andere örtliche Versorgung. Also stelle ich wieder viele Fragen, die von den Mitarbeitern geduldig beantwortet werden.





Meine langjährige hausärztliche Erfahrung kommt mir in dieser Situation sehr zugute, denn die Patientenanliegen sind im Wesentlichen die Gleichen wie ich sie in den vielen Jahren meiner Praxistätigkeit in Deutschland kennengelernt habe.


Hier wird die Arbeit auch dadurch erleichtert, dass die Patienten in aller Regel fest in der Praxis eingeschrieben sind und damit alle medizinischen Vorbefunde in der sehr sorgfältig geführten, elektronischen Patientenakte dokumentiert sind. Es kann einem daher im Normalfall nicht passieren, dass man einen Patienten behandeln muss, dessen Vorgeschichte fehlt oder unvollständig ist.



(Wellington)


Die Arbeitszeiten sind so angenehm,

dass ich sie kaum im Blog veröffentlichen mag,

sonst kommen noch mehr Kollegen auf die Idee, nach Neuseeland zu gehen :-))


Die Sprechstunde beginnt um 8:30 Uhr und endet pünktlich um 17:00 Uhr, mit einer Stunde Mittagspause.



(Cappuccino Pause)


Einen Nachmittag pro Woche habe ich frei. Für jedes Gespräch mit einem Patienten werden 15 Minuten eingeplant, ich sehe also pro Stunde ganze vier Patienten!


An einem durchschnittlichen Vormittag sind es zwischen 10 und 14 Patienten, nachmittags noch mal 10 bis 12 Patienten, d. h. am Tag spreche ich mit 20 bis 24 Patienten.



(Wasserspeicher, Zealandia, Wellington)


In Deutschland habe ich häufig schon an einem Vormittag mit 40 Patienten gesprochen und nachmittags noch mal mit 30 Patienten. Kein Wunder, dass ich nach so vielen Patientengesprächen manchmal völlig fertig und kaum noch aufnahmefähig war.


Jetzt sehe ich hier weit weniger Patienten, dafür sind die Anforderungen, die an mich gestellt werden, deutlich höher. Es wird von mit erwartet, viele Anliegen mit meinen Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten zu klären, da es nicht möglich ist, Patienten kurzfristig zu einem Facharzt zu überweisen. Dafür erspare ich mir allerdings das Ausstellen von sog. „Wunschüberweisungen“, von denen einige meiner Patienten in Deutschland oft drei bis fünf Stück auf einmal „bestellten“.



(Zealandia, Wellington)


Was ich hier auch deutlich seltener ausstelle sind Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Es wird hier nämlich kein Krankengeld bezahlt! Wenn kein Geld fließt, ist die Motivation weiter zu arbeiten natürlich deutlich höher.


Außerdem gibt es hier viele Farmer bzw. anderweitig Selbständige, die es sich nicht leisten können, wegen Krankheit zuhause zu bleiben. Die Leute sind hier wirklich sehr hart im nehmen! Da muss schon jemand seinen Kopf unterm Arm tragen, bevor er eine „sick leave form“ (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) benötigt.


Ich habe aber auch nicht den Eindruck, dass hier die Gesundheit auf’s Spiel gesetzt wird. Wenn jemand wirklich schwer krank ist, wird darauf auch Rücksicht genommen. Aber eben erst wenn deutlich mehr als eine Banalerkrankung besteht.



(Kaka, in Zealandia, Wellington)


Was meine Arbeit sehr erleichtert ist das völlige Fehlen von Krankenkassenanfragen, da es in diesem staatlichen Gesundheitssystem keine Krankenkassen gibt (in Deutschland sind es ca. 150 Kassen).


Es gibt nur eine Versicherungsform, die von allen Steuerzahlern finanziert wird.

Ich habe daher alleine durch diese drei Aufgaben (Überweisungen, AU’s und Kassenanfragen), um die ich mich hier nicht kümmern muss, deutlich mehr Zeit für meine eigentliche Aufgabe als Arzt, nämlich die Untersuchung und Behandlung/Betreuung von Patienten.



(Am Strand in Wellington)


Aber, wie sich jeder vorstellen kann, gibt es hier nicht nur eitel Sonnenschein. Jede Medaille hat zwei Seiten.


An einem Tag in der Woche werden in unserer Praxis auch Patienten behandelt, die nicht in der Praxis eingeschrieben sind, sondern „auf Warteliste“ stehen.


Für die Patienten bedeutet es eine deutlich höhere Gebühr, die für die Behandlung bezahlt werden muss (statt der üblichen 30 NZ$ zahlen nicht registrierte Patienten bis zu 55 NZ$).





Außerdem kann der behandelnde Arzt für nicht registrierte Patienten quasi nur die „Akutversorgung“ veranlassen.


Alles was darüber hinaus geht (Behandlung chronischer Erkrankungen, Prävention, psychosoziale Betreuung, differentialdiagnostische Klärung komplexer Erkrankungsbilder etc.) kann nicht von ihm geleistet werden bzw. muss ggf. vom Krankenhaus im Rahmen einer Notfalleinweisung/Ambulanzsprechstunde versorgt werden.



(Zealandia, Wellington)


Diese Hausarzt-Wartelisten gibt es, da keine ausreichende Anzahl an Hausärzten zur Verfügung stehen. Die Kehrseite der Medaille sind insofern Wartelisten (bei den Facharztüberweisungen und der Hausarzteinschreibung) als Zeichen einer Mangelverwaltung.


Die Nachteile dieses Systems treffen insofern nicht so sehr die Ärzte sondern insbesondere die Patienten, die entsprechende Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.



(Zealandia, Wellington)


Erstaunt bin ich immer wieder, dass sich niemand über Wartezeiten beschwert oder sich benachteiligt fühlt.


Ich habe eher den Eindruck, dass die Patienten mit der Versorgung zufrieden sind und niemand auf die Idee kommen würde, überzogene Ansprüche zu stellen.




Besuch in „Zealandia“ 24.07.10


An diesem Samstag fahre ich mit Carol nach Wellington. Wir besuchen „Zealandia“, ein Naturschutzreservat mitten in der Stadt (www.visitzealandia.com).





Ein alter Wasserspeicher, der für die Wasserversorgung unbrauchbar geworden ist, wurde „renaturiert“, d.h. im wesentlichen der Natur überlassen.


Als besondere Schutzmassnahme wurde um das riesige Gebiet ein 8,6 km langer Spezialzaun gebaut, der sämtliche Vogelgefährdenden Tiere (Hunde, Katzen, Ratten, Opossum etc.) fernhält.





In einem kürzlich neu errichteten Informationszentrum erfahren wir alles über die Entstehungsgeschichte des Reservats. Wir sehen einen kurzen Film, der sehr anschaulich schildert, wie die ersten Siedler alle möglichen Tiere und Pflanzen nach Neuseeland brachten und welche Auswirkungen das auf die Natur, insbesondere auf die Vogelwelt hatte.





Man erfährt auch sehr viel über Schutzmassnahmen, die hier und an anderen Orten unternommen werden, damit gefährdete Arten erhalten werden.


Das Informationszentrum und der Park ist eines der Highlights, die man beim nächsten Besuch Wellingtons unbedingt gesehen haben sollte :-)






Bei dem anschließenden Spaziergang durch das Reservat haben wir sehr viele Vögel hören, aber leider nur einige davon sehen können.


Es gibt einige Fütterungsstationen, die von den Vögeln sehr gerne in Anspruch genommen werden.





Durch die Fütterung sollen die Vögel auch davon abgehalten werden, in Gegenden ohne Schutzzaun zu fliegen, also außerhalb des Parks, weil dort genügend Katzen nur darauf warten, den Piepmatzen der Garaus zu machen.






Die Fütterungsautomaten für die Kakas sind so konstruiert, das der Vogel mindestens 400 Gramm schwer sein muss, damit sich die Klappe mit den Leckereien öffnet.


Damit wird sichergestellt, dass das Futter auch nur an die „richtigen“ Vögel ausgegeben wird. Sonst würden die vielen Spatzen, die auch woanders Futter finden, alles in kurzer Zeit aufpicken.








In Zealandia kann man auch geführte Nachttouren buchen, bei denen man die nachtaktiven Kiwis sehen kann. Die Nachttour steht bei mir noch auf der Liste der Dinge, die ich immer schon mal erleben wollte.


Es gibt einfach so viel hier, was man unbedingt mal gesehen haben sollte...








Wanderung mit Willi zum Taputeranga Marine Reserve 25.07.10


Am nächsten Morgen frage ich Willi, den Austauschschüler aus Finnland, der vor Kurzem auf der Farm angekommen ist, ob er Lust auf eine „kleine Wanderung“ hat.


Dass die Wanderung fast vier Stunden dauern wird verrate ich ihm natürlich nicht :-)

(weil ich es zu diesem Zeitpunkt selber noch nicht weis).


Wir haben mal wieder Glück mit dem Wetter, es ist strahlender Sonnenschein. In Wellington angekommen, fahre ich mit Willi an der Küstenstraße entlang, quasi einmal um die ganze Stadt herum. Man bekommt einen Eindruck davon, wie weitläufig die Stadt eigentlich ist.





Das letzte mal, als ich am Taputeranga Marine Reserve besucht hatte, war das Wetter scheußlich regnerisch und windig. Bei schönem Wetter, so wie heute, macht es viel mehr Spaß an der Küste entlang zu wandern.


Wir Stellen den Wagen am Parkplatz vor dem Reservat ab und machen uns zu Fuß auf den Weg zu dem Ort, von dem ich gehört hatte, dass hier Seelöwen zu sehen sind.





Unterwegs erzählt mir Willi einiges über seinen Heimatort und über die Art wie finnische Jugendliche ihre Freizeit verbringen. Nach seiner Meinung ist es dort total langweilig und es gibt überhaupt keine Freizeitangebote.





Um mal etwas zu erleben, muss man schon in die nächst größere Stadt fahren, was wieder mit Aufwand und Kosten verbunden ist. Nach dem, was er erzählt, habe ich so meine Zweifel, ob er sich hier auf der Farm wirklich wohl fühlen wird...





Nach etwa 1,5 Stunden Wanderung sehen wir endlich die ersten Seelöwen auf den Felsen und am Strand liegen, so gut getarnt, dass man schon sehr genau hinsehen muss um sie zu bemerken.









Beim Weitergehen entdecken wir immer mehr Seelöwen, die geruhsam in der Sonne liegen und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Es ist unglaublich, wenige Meter neben den in freier Natur lebenden Tieren zu stehen und sie beobachten zu können.












Willi ist total begeistert von den Eindrücken, ich natürlich auch.


Nach einer Rast treten wir den Rückweg an und erreichen nach weiteren zwei Stunden wieder den Parkplatz, auf dem wir das Auto abgestellt hatten.






Abends treffen wir nach einigen Zwischenstopps an ein paar schönen Aussichtspunkten wieder in Levin ein.




Geschichten über das „Paipatonga Reserve“


Kurze Zeit später treffe ich Willi bei meinen Vermietern wieder. Wie immer, am Sonntag Abend, bin ich bei Errol und Diane zum Dinner eingeladen.


U.a. ist dieses mal auch eine Nachbarin zum Dinner gekommen, die sehr interessante Geschichten über die Historie des nahegelegenen „Paipatonga Scenic Reserve“ erzählt.





Es handelt sich dabei um einen See, der zu Fuß etwa 10 Minuten von der Farm entfernt liegt und früher, zur Zeit der ersten Siedler, ein Rückzugsgebiet eines Maoristammes war.


Auf dem See gibt es zwei Inseln, eine natürliche und eine von den Maori geschaffene. Es muss hier immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen gegeben haben, wobei die Inseln uneinnehmbar waren, da Angreifer den See nicht ungesehen überqueren konnten.





Leider gibt es keinen Rundwanderweg um den See, was die Attraktivität für Besucher m. E. deutlich steigern würde.


Auf meine Frage hin, warum man den See nur von einer Seite besichtigen kann, erzählt die Nachbarin, sie hätte sich viel mit den ortsansässigen Maori über den See und seine Geschichte unterhalten.


Die Maori würden die andere Seite des Sees meiden, da sie, wie sie sagen, die Seelen ihrer verstorbenen Vorfahren dort spüren würden und niemand dabei ein gutes Gefühl hätte. Die andere Seite sei daher für sie Tabu.





Der See hat viel von seiner ursprünglichen Fläche verloren, da der Wasserzulauf von der sich entwickelnden Landwirtschaft immer weiter zurückgedrängt wurde.


Vor 50 Jahren war das Wasser noch so tief, dass auf dem See Motorbootrennen gefahren wurden, was regelmäßig zu Verkehrsstaus in der Umgebung geführt hat. Also wurden die Rennen irgendwann verboten und der See geriet mehr und mehr in Vergessenheit.





Heute ist man bemüht, den Wasserspiegel wieder anzuheben. Aber die Interessen der Farmer sind mit denen der Naturschützer nicht immer in Einklang zu bringen. Meine Vermieterin Diane hat zusammen mit einigen Nachbarn eine Interessengruppe ins Leben gerufen („Friends of Lake Paipatonga“), um sich mit Anderen für den Erhalt des „Paipatonga Scenic Reserve“ einzusetzen.


Ein typisches Beispiel dafür, wie Kiwis Dinge in die Hand nehmen, um ein selbst gestecktes Ziel zu erreichen.


Ich kann das Interesse, den See zu erhalten, gut nachvollziehen. Wenn man zu Fuß zum See geht, befindet man sich plötzlich in einen „Zauberwald“, in dem man ein Konzert von Vogelstimmen hört, wie sonst selten in der Umgebung.






Leider ist vom See und von den Vögeln nicht viel zu sehen. Man muss sich sehr ruhig verhalten und viel Geduld haben, bis sich ein paar Vögel blicken lassen.


Manchmal hat man Glück und sie fliegen einem direkt vor die Kamera...






Freitag, 6. August 2010

Einsichten in ein anderes Gesundheitssystem


Diesmal geht es u.a. um:


Abschied von der Praxis in Putaruru

Einsichten in Neuseelands Gesundheitssystem

Fahrt von Hamilton nach Levin mit dem „Overlander“



(Mittagspause auf "meiner" Veranda)


Abschied von der Praxis in Putaruru 16.07.10


Zwei Wochen gehen sehr schnell vorbei, vor allem wenn man sich in so viele neue Dinge im Praxisalltag einarbeiten muss.


Wie funktioniert das Computerprogramm? Wie drucke ich die unterschiedlichen Formulare aus? Wo finde ich die Laborwerte? Wie schreibe ich eine Überweisung an einen Fachkollegen? Wie heißt das Medikament, welches ich verordnen möchte? Welche Medikamente darf ich verordnen, für welche muss ich eine besondere Genehmigung beantragen? Wie und wo bekomme ich einen schnellen Termin für eine spezielle Untersuchung? Was heißt noch mal Blutbild auf Englisch? Welche Telefonnummern brauche ich für meinen Notdienst? Wie erreiche ich den Aufnahmearzt im Krankenhaus? Was muss ich bei einer Fahrtauglichkeitsuntersuchung alles beachten? Welches Formular fülle ich für die Untersuchung und Krankschreibung nach einem Unfall aus? Warum druckt der Computer das Rezept schon wieder nicht?


Da ist es doch gut, viele nette und geduldige Leute um sich zu haben, die man mit seinen Fragen immer wieder löchern kann. Ich komme mir wie ein Anfänger vor. Bei den einfachsten Dingen, die für mich in Deutschland selbstverständlich und geläufig waren, muss ich jetzt nachfragen. Zum Glück habe ich nach den ersten Tagen das Gefühl, wenigstens ein paar Dinge schon selbst erledigen zu können, aber immer wieder stolpere ich über neue Fragen. Es ist ein fortlaufender Lernprozess. Und ich bin ganz schön gefordert.


Heute ist mein letzter Tag in dieser Praxis. Ich kann es gar nicht glauben, dass die Zeit schon vorbei sein soll. Bin doch gerade vor kurzem erst angekommen.



(Umgebung von Putaruru)


Einsichten in ein anderes Gesundheitssystem


Was habe ich in dieser Zeit für Eindrücke gesammelt?


Ich war, ehrlich gesagt, etwas skeptisch, bevor ich hier hergefahren bin.

„Was soll man schon erwarten, in einem kleinen Dorf mitten im Irgendwo auf dem platten Land", dachte ich.

"Der nächst größere Ort ist weit entfernt. Bestimmt ist es hier total langweilig.“



(Umgebung von Putaruru)


Ob hier nichts los ist, hängt sicher von der Frage ab, was man mit seiner Zeit anfängt. Mir fehlte wegen der Kürze der Zeit natürlich die Anbindung an entsprechende Freizeitaktivitäten. Und da ich tagsüber gearbeitet habe, war auch nicht sehr viel Zeit übrig, nach Feierabend noch etwas zu unternehmen. Langweilig war es mir aber hier keinen Moment.





Meine Eindrücke, welche ich sowohl in der Praxis als auch bei meinen Ausflüge in die nähere Umgebung gewinnen konnte, waren insgesamt sehr positiv. Von meinen Gesprächen mit den Mitarbeiten der Praxis und natürlich auch von den Patienten konnte ich erfahren, dass die gefühlte Lebensqualität hier sehr hoch ist. Einige Leute erzählten mir, sie würden nicht im Entferntesten auf die Idee kommen, in eine größere Stadt ziehen zu wollen. Schon gar nicht nach Auckland, da sei alles so laut und hektisch. Sie hätten hier doch alles was sie brauchen und würden sich sehr wohl fühlen. So kann man (wie ich) mit seinem Urteil voll daneben liegen. Die Leute fühlen sich hier alle sehr wohl in dieser schönen ländlichen Umgebung.


Einige Gespräche drehten sich natürlich auch um die gesundheitliche Versorgung der Patienten. Das Durchschnittsalter der Hausärzte in diesem Bezirk ist offenbar sehr hoch. Es gibt einige Ärzte, die schon über siebzig Jahre alt sind und immer noch praktizieren, da sie wissen, es wird keinen Nachfolger geben, der ihre Patienten versorgt. Und da ihnen die Arbeit und der Kontakt zu den Patienten viel bedeutet, arbeiten sie halt weiter.


Es ist absehbar, dass in den nächsten Jahren viele Praxen aus Altersgründen geschlossen werden. Den Patienten macht das natürlich Angst, denn sie wissen nicht, von wem sie dann weiterversorgt werden. Ähnlich wie in Niedersachsen, wo das Durchschnittsalter der Hausärzte ebenfalls sehr hoch ist, gibt es also auch hier das Phänomen der „alternden Hausärzte“. Auch hier ist nicht erkennbar, woher eine ausreichende Anzahl von Nachfolgern kommen soll.





Die hausärztliche Versorgung in dieser ländlichen Region ist nach meinem Eindruck ausgezeichnet organisiert. Auch hier ist es nur als Teamleistung zu bewältigen. In den Hausarztpraxen gibt es eine klare Aufgabenteilung zwischen


administrativen Aufgaben,

welche von einer bzw. mehreren „Receptionists“ sowie von der „Practice Managerin“

übernommen werden, und


medizinischen Aufgaben,

welche von den „Nurses“ in Zusammenarbeit mit den Ärzten behandelt werden.



(See nahe Rotorua)


Der professionalisierungsgrad der „Nurses“ ist sehr hoch. Sie kümmern sich auch um viele medizinische Belange, die in Deutschland (noch) von Ärzten geleistet werden. Es ist eine enorme Unterstützung, die man dadurch erfährt, sich nicht um alles selber kümmern zu müssen. So wird beispielsweise die primäre Wundversorgung oder Erstdiagnostik bei einfachen Gesundheitsproblemen (z. B. Beschwerden durch Harnwegsinfekte) von der „Nurse“ so weit vorbereitet, dass der Arzt sich im Wesentlichen um medizinische Entscheidungsprozesse kümmern kann.


Ein Großteil der Verwaltungsarbeiten werden von der „Receptionist“ übernommen, d.h. Arbeiten wie z.B. telefonische Terminvergabe oder Wiedereinbestellung von Patienten, Aktenverwaltung und Briefverkehr. Das entlastet wiederum die „Nurse“, die sich um Voruntersuchung und Betreuung von Patienten kümmert.





Im Unterschied zu Deutschland wird in den Hausarztpraxen hier z.B. kein Blut abgenommen. Die Patienten erhalten vom Arzt einen Laborschein, auf dem vermerkt ist, welche Untersuchungen durchgeführt werden sollen. Damit geht der Patient zum Labor, wo das Blut abgenommen und untersucht wird. Es muss also nicht jede Praxis sein eigenes Personal damit beschäftigen, vormittags Blut abzunehmen, sondern die Patienten von allen umliegenden Praxen fahren zu einem zentral gelegenen Labor.


Die Facharztversorgung ist hier völlig anders organisiert, als ich es von Deutschland her gewohnt war. Es gibt in Neuseeland nicht so viele Fachärzte, daher übernehmen Hausärzte hier Versorgungsbereiche, die in Deutschland von Fachärzten abgedeckt werden. Die fachlichen Anforderungen sind insofern m. E. für die Hausärzte hier deutlich höher einzustufen.





Durch die geringere Anzahl an Fachärzten erhält der Hausarzt hier in viel stärkerem Maße eine „Gatekeeper-Funktion“, d.h. der Arzt (und nicht der Patient) entscheidet, ob und wann jemand überwiesen wird. Eine Überweisung ist zwangsläufig mit Wartezeiten verbunden, die abhängig von dem Schweregrad des Gesundheitsproblems und den verfügbaren Kapazitäten der entsprechenden Fachärzte auch schon mal ein paar Monate dauern kann.


Für jede Überweisung wird ein detaillierter Bericht des Hausarztes mit den medizinischen Hintergrundinformationen geschrieben, so dass die Facharztpraxis, welche in aller Regel an einem Krankenhaus ansässig ist, entscheiden kann, wie dringlich das Anliegen ist.


Auch hier gibt es die Möglichkeit, sich privat um einen Termin zu kümmern, d.h. die Untersuchung privat zu bezahlen, was die Wartezeit etwas verkürzen kann. Jeder Facharzt hat also neben seiner Praxis im Krankenhaus noch eine Privatsprechstunde.

Die Mehrklassenmedizin wird demnach auch hier gepflegt.


Die Kosten der Privatbehandlung sind für viele Patienten allerdings so hoch, dass sie lieber die Wartezeiten des steuerfinanzierten Gesundheitssystems in Anspruch nehmen. Die Patienten nehmen es gelassen, weil sie sich an die Wartezeiten schon gewöhnt haben. Nur ich werde da manchmal noch ungeduldig, weil ich von deutschen Verhältnissen verwöhnt bin.



(Coromandel Halbinsel)


Die Arbeit als Hausarzt empfinde ich als sehr angenehm. Vor allem bin ich überaus positiv davon angetan, dass es hier nicht, wie in Deutschland, eine ewig andauernde und Existenz bedrohende Regressandrohung gibt.


Das Wort Regressandrohung ist hier ein Fremdwort. Ich habe den Verdacht, so etwas gibt es nur in Deutschland. Mich wundert allerdings, warum in Deutschland ausgerechnet eine so bedrohte Spezies wie die deutschen Hausärzte von der Regressgefahr betroffen gemacht werden und warum die Kollegen diese Gängelei immer noch mit sich machen lassen.


Wen wundert es, dass in den letzten Jahren kaum noch Medizinstudenten für den Beruf des Hausarztes begeistert werden können und in Folge davon, der Nachwuchsmangel nicht zu beseitigen ist?



(Coromandel Halbinsel)


Von diesen Maßnahmen, einer ganzen Berufsgruppe das Leben schwer zu machen, ist man in Neuseeland zum Glück sehr weit entfernt. Ich kann verordnen was ich für notwendig erachte. Nur für einzelne, sehr teure Medikamente muss eine besondere Bewilligung beantragen werden, welche bei entsprechender Begründung in aller Regel genehmigt wird.


Ich verlasse Putaruru mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Der Einstige in das Neuseeländische Gesundheitssystem ist mir durch diese zwei Wochen sehr erleichtert worden. Ich hatte genug Zeit und Gelegenheit, die Besonderheiten dieses Versorgungssystems kennen zu lernen. Nun heißt es wieder Abschied nehmen, von netten Leuten, die ich hier getroffen habe, von einem Praxisteam das mich sehr freundlich aufgenommen und unterstützt hat. An das „klein Dorf mitten im Irgendwo auf dem platten Land“ hatte ich mich auch schon so gewöhnt, dass ich eigentlich gerne noch länger geblieben wäre.


Nächste Woche am Montag werde ich in „meiner“ Praxis in Levin erwartet. Auf den Anfang dort freue ich mich schon ...






Fahrt von Hamilton nach Levin 17.07.10


Morgens früh um 7.00 Uhr mache ich mich auf den Weg nach Hamilton, wo ich meinen Mietwagen abgebe und auf den „Overlander“ (www.tranzscenic.co.nz) warte, den Zug, der mich nach Levin zurückbringen wird.





Ich bin sehr früh am vollkommen leeren Bahnhof eingetroffen. Immer wieder muss ich mir in Erinnerung rufen, dass hier „nur“ etwa 4 Millionen Menschen leben, die Meisten davon in Auckland.

Während in Deutschland etwa 230 Menschen pro km2 leben, sind es in Neuseeland gerade mal 16 pro km2 !


Kein Wunder, dass heute morgen hier niemand aufgetaucht ist :-)


Der Zug um 9.50 Uhr kommt aus Auckland und ist der Einzige, der heute hier abfährt. Langsam füllt sich der Bahnsteig mit einigen Touristen und wenigen Einheimischen. Das Gepäck wird in Empfang genommen und später im Gepäckabteil untergebracht. Die freundliche Bahnangestellte gibt mir meine Platzkarte. Alles in Ruhe und Gemütlichkeit, bloß keine Hektik, so etwas wäre hier undenkbar.





Als der Zug eintrifft wird das Gepäck verladen und dann geht es in gemächlichem Tempo los, durch eine hügelige Landschaft, die unendlich weit zu sein scheint. Grüne wiesen, so weit ich sehen kann. Unterwegs wird durch Lautsprecher erklärt, über welche Brücken wir fahren und an welchen Sehenswürdigkeiten wir vorbeikommen. Die Brücken spannen sich über beeindruckende Schluchten. Tief unter uns sieht man mächtige Flüsse. Ich hoffe doch, dass die Brückenbauer solide gearbeitet haben.


Wir halten an Bahnstationen mit so schwer auszusprechenden Namen wie Otorohanga, Te Kuiti und Taumarunui. An der Station National Park halten wir für eine etwas längere Pause so dass man sich mal ein bisschen die Füße vertreten kann.


Weiter geht es durch riesige Weideflächen. Wir sehen Gegenden, wo man mit dem Auto nicht hinkommen würde. Wer die Gelegenheit hat mit dem „Overlander“ zu fahren, sollte sich diese Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen.


Am späten Nachmittag komme ich in Levin an, wo ich von Errol am Bahnhof abgeholt werde. Heute Abend bin ich von meinen Vermietern zum Dinner eingeladen. Für mein leibliches Wohl ist also gesorgt und es ist schön wieder „zuhause“ zu sein.


Gestern ist bei Errol und Diane ihr neuer Austauschschüler eingetroffen, Willi aus Finnland.





Am nächsten Morgen treffe ich Will auf der Weide vor meiner Veranda. Er ist etwas von Heimweh geplagt und schaut auf die Weiden, als würde er sagen wollen „Was soll ich hier bloß, wo bin ich hingeraten? Überall nur Weiden mit Kühen und Schafen darauf“.





Wir setzen uns bei einer Tasse Tee hin und er erzählt mir woher er kommt, wie das Leben in Finnland so ist und was er für Erwartungen an seinen Aufenthalt in Neuseeland hatte. Nach seinen Beschreibungen muss es für einen Sechzehnjährigen in Finnland sehr langweilig sein, es würde für diese Altersgruppe nur sehr wenig Freizeitangebote geben, oft hängen die Jugendlichen nur rum, jeder Tag sei wie der Andere.


Hier habe er mehr Abwechselung erwartet, aber ob er die auf dieser Farm finden wird, bezweifelt er doch sehr. Wenn er sich da nicht irrt...


Am folgenden Wochenende fahre ich mit Willi nach Wellington und wir besuchen die Seelöwen im Taputeranga Marine Reserve. Da wird er erfahren, dass Neuseeland noch mehr zu bieten hat.


Und meinen ersten Arbeitstag in Levin habe ich am kommenden Montag. Aber davon später mehr ...