Endlich wieder Arbeit :-)
Besuch in „Zealandia“
Mit Willi zum Taputeranga Marine Reserve
Geschichten über das „Paipatonga Scenic Reserve“ in Levin
Meine ersten Arbeitstage in Levin 19.07.10
Es ist ein bisschen wie der Sprung ins kalte Wasser, was mich in Levin erwartet. Natürlich haben mir die letzten vierzehn Tage mit Supervision in der Praxis Nahe Hamilton sehr geholfen, mich in die neue Versorgungsrealität einzuarbeiten. Dort hatte ich einen persönlichen Ansprechpartner, den ich jederzeit fragen konnte, wenn etwas für mich neu oder unklar war.
Aber wenn man dann alleine vor der Aufgabe steht, eine Praxis zu betreiben, ist einem schon etwas mulmig zumute. Meine neue Praxiskollegin hat nämlich meinen Einstieg dazu genutzt, eine Woche Urlaub zu machen, d.h. ich arbeite in meiner neuen Praxis in Levin die erste Woche alleine.
Für Notfälle ist die Kollegin erreichbar, glücklicherweise tritt kein Notfall ein.
Auch hier muss ich mich in viele Dinge komplett neu einarbeiten, weil jeder Praxis anders organisiert ist. Ein anderes Computersystem, andere Praxisabläufe und auch eine andere örtliche Versorgung. Also stelle ich wieder viele Fragen, die von den Mitarbeitern geduldig beantwortet werden.
Meine langjährige hausärztliche Erfahrung kommt mir in dieser Situation sehr zugute, denn die Patientenanliegen sind im Wesentlichen die Gleichen wie ich sie in den vielen Jahren meiner Praxistätigkeit in Deutschland kennengelernt habe.
Hier wird die Arbeit auch dadurch erleichtert, dass die Patienten in aller Regel fest in der Praxis eingeschrieben sind und damit alle medizinischen Vorbefunde in der sehr sorgfältig geführten, elektronischen Patientenakte dokumentiert sind. Es kann einem daher im Normalfall nicht passieren, dass man einen Patienten behandeln muss, dessen Vorgeschichte fehlt oder unvollständig ist.
Die Arbeitszeiten sind so angenehm,
dass ich sie kaum im Blog veröffentlichen mag,
sonst kommen noch mehr Kollegen auf die Idee, nach Neuseeland zu gehen :-))
Die Sprechstunde beginnt um 8:30 Uhr und endet pünktlich um 17:00 Uhr, mit einer Stunde Mittagspause.
(Cappuccino Pause)
Einen Nachmittag pro Woche habe ich frei. Für jedes Gespräch mit einem Patienten werden 15 Minuten eingeplant, ich sehe also pro Stunde ganze vier Patienten!
An einem durchschnittlichen Vormittag sind es zwischen 10 und 14 Patienten, nachmittags noch mal 10 bis 12 Patienten, d. h. am Tag spreche ich mit 20 bis 24 Patienten.
(Wasserspeicher, Zealandia, Wellington)
In Deutschland habe ich häufig schon an einem Vormittag mit 40 Patienten gesprochen und nachmittags noch mal mit 30 Patienten. Kein Wunder, dass ich nach so vielen Patientengesprächen manchmal völlig fertig und kaum noch aufnahmefähig war.
Jetzt sehe ich hier weit weniger Patienten, dafür sind die Anforderungen, die an mich gestellt werden, deutlich höher. Es wird von mit erwartet, viele Anliegen mit meinen Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten zu klären, da es nicht möglich ist, Patienten kurzfristig zu einem Facharzt zu überweisen. Dafür erspare ich mir allerdings das Ausstellen von sog. „Wunschüberweisungen“, von denen einige meiner Patienten in Deutschland oft drei bis fünf Stück auf einmal „bestellten“.
Was ich hier auch deutlich seltener ausstelle sind Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Es wird hier nämlich kein Krankengeld bezahlt! Wenn kein Geld fließt, ist die Motivation weiter zu arbeiten natürlich deutlich höher.
Außerdem gibt es hier viele Farmer bzw. anderweitig Selbständige, die es sich nicht leisten können, wegen Krankheit zuhause zu bleiben. Die Leute sind hier wirklich sehr hart im nehmen! Da muss schon jemand seinen Kopf unterm Arm tragen, bevor er eine „sick leave form“ (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) benötigt.
Ich habe aber auch nicht den Eindruck, dass hier die Gesundheit auf’s Spiel gesetzt wird. Wenn jemand wirklich schwer krank ist, wird darauf auch Rücksicht genommen. Aber eben erst wenn deutlich mehr als eine Banalerkrankung besteht.
(Kaka, in Zealandia, Wellington)
Was meine Arbeit sehr erleichtert ist das völlige Fehlen von Krankenkassenanfragen, da es in diesem staatlichen Gesundheitssystem keine Krankenkassen gibt (in Deutschland sind es ca. 150 Kassen).
Es gibt nur eine Versicherungsform, die von allen Steuerzahlern finanziert wird.
Ich habe daher alleine durch diese drei Aufgaben (Überweisungen, AU’s und Kassenanfragen), um die ich mich hier nicht kümmern muss, deutlich mehr Zeit für meine eigentliche Aufgabe als Arzt, nämlich die Untersuchung und Behandlung/Betreuung von Patienten.
Aber, wie sich jeder vorstellen kann, gibt es hier nicht nur eitel Sonnenschein. Jede Medaille hat zwei Seiten.
An einem Tag in der Woche werden in unserer Praxis auch Patienten behandelt, die nicht in der Praxis eingeschrieben sind, sondern „auf Warteliste“ stehen.
Für die Patienten bedeutet es eine deutlich höhere Gebühr, die für die Behandlung bezahlt werden muss (statt der üblichen 30 NZ$ zahlen nicht registrierte Patienten bis zu 55 NZ$).
Außerdem kann der behandelnde Arzt für nicht registrierte Patienten quasi nur die „Akutversorgung“ veranlassen.
Alles was darüber hinaus geht (Behandlung chronischer Erkrankungen, Prävention, psychosoziale Betreuung, differentialdiagnostische Klärung komplexer Erkrankungsbilder etc.) kann nicht von ihm geleistet werden bzw. muss ggf. vom Krankenhaus im Rahmen einer Notfalleinweisung/Ambulanzsprechstunde versorgt werden.
Diese Hausarzt-Wartelisten gibt es, da keine ausreichende Anzahl an Hausärzten zur Verfügung stehen. Die Kehrseite der Medaille sind insofern Wartelisten (bei den Facharztüberweisungen und der Hausarzteinschreibung) als Zeichen einer Mangelverwaltung.
Die Nachteile dieses Systems treffen insofern nicht so sehr die Ärzte sondern insbesondere die Patienten, die entsprechende Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.
(Zealandia, Wellington)
Erstaunt bin ich immer wieder, dass sich niemand über Wartezeiten beschwert oder sich benachteiligt fühlt.
Ich habe eher den Eindruck, dass die Patienten mit der Versorgung zufrieden sind und niemand auf die Idee kommen würde, überzogene Ansprüche zu stellen.
Besuch in „Zealandia“ 24.07.10
An diesem Samstag fahre ich mit Carol nach Wellington. Wir besuchen „Zealandia“, ein Naturschutzreservat mitten in der Stadt (www.visitzealandia.com).
Ein alter Wasserspeicher, der für die Wasserversorgung unbrauchbar geworden ist, wurde „renaturiert“, d.h. im wesentlichen der Natur überlassen.
Als besondere Schutzmassnahme wurde um das riesige Gebiet ein 8,6 km langer Spezialzaun gebaut, der sämtliche Vogelgefährdenden Tiere (Hunde, Katzen, Ratten, Opossum etc.) fernhält.
In einem kürzlich neu errichteten Informationszentrum erfahren wir alles über die Entstehungsgeschichte des Reservats. Wir sehen einen kurzen Film, der sehr anschaulich schildert, wie die ersten Siedler alle möglichen Tiere und Pflanzen nach Neuseeland brachten und welche Auswirkungen das auf die Natur, insbesondere auf die Vogelwelt hatte.
Man erfährt auch sehr viel über Schutzmassnahmen, die hier und an anderen Orten unternommen werden, damit gefährdete Arten erhalten werden.
Das Informationszentrum und der Park ist eines der Highlights, die man beim nächsten Besuch Wellingtons unbedingt gesehen haben sollte :-)
Bei dem anschließenden Spaziergang durch das Reservat haben wir sehr viele Vögel hören, aber leider nur einige davon sehen können.
Es gibt einige Fütterungsstationen, die von den Vögeln sehr gerne in Anspruch genommen werden.
Durch die Fütterung sollen die Vögel auch davon abgehalten werden, in Gegenden ohne Schutzzaun zu fliegen, also außerhalb des Parks, weil dort genügend Katzen nur darauf warten, den Piepmatzen der Garaus zu machen.
Die Fütterungsautomaten für die Kakas sind so konstruiert, das der Vogel mindestens 400 Gramm schwer sein muss, damit sich die Klappe mit den Leckereien öffnet.
Damit wird sichergestellt, dass das Futter auch nur an die „richtigen“ Vögel ausgegeben wird. Sonst würden die vielen Spatzen, die auch woanders Futter finden, alles in kurzer Zeit aufpicken.
In Zealandia kann man auch geführte Nachttouren buchen, bei denen man die nachtaktiven Kiwis sehen kann. Die Nachttour steht bei mir noch auf der Liste der Dinge, die ich immer schon mal erleben wollte.
Es gibt einfach so viel hier, was man unbedingt mal gesehen haben sollte...
Wanderung mit Willi zum Taputeranga Marine Reserve 25.07.10
Am nächsten Morgen frage ich Willi, den Austauschschüler aus Finnland, der vor Kurzem auf der Farm angekommen ist, ob er Lust auf eine „kleine Wanderung“ hat.
Dass die Wanderung fast vier Stunden dauern wird verrate ich ihm natürlich nicht :-)
(weil ich es zu diesem Zeitpunkt selber noch nicht weis).
Wir haben mal wieder Glück mit dem Wetter, es ist strahlender Sonnenschein. In Wellington angekommen, fahre ich mit Willi an der Küstenstraße entlang, quasi einmal um die ganze Stadt herum. Man bekommt einen Eindruck davon, wie weitläufig die Stadt eigentlich ist.
Das letzte mal, als ich am Taputeranga Marine Reserve besucht hatte, war das Wetter scheußlich regnerisch und windig. Bei schönem Wetter, so wie heute, macht es viel mehr Spaß an der Küste entlang zu wandern.
Wir Stellen den Wagen am Parkplatz vor dem Reservat ab und machen uns zu Fuß auf den Weg zu dem Ort, von dem ich gehört hatte, dass hier Seelöwen zu sehen sind.
Unterwegs erzählt mir Willi einiges über seinen Heimatort und über die Art wie finnische Jugendliche ihre Freizeit verbringen. Nach seiner Meinung ist es dort total langweilig und es gibt überhaupt keine Freizeitangebote.
Um mal etwas zu erleben, muss man schon in die nächst größere Stadt fahren, was wieder mit Aufwand und Kosten verbunden ist. Nach dem, was er erzählt, habe ich so meine Zweifel, ob er sich hier auf der Farm wirklich wohl fühlen wird...
Nach etwa 1,5 Stunden Wanderung sehen wir endlich die ersten Seelöwen auf den Felsen und am Strand liegen, so gut getarnt, dass man schon sehr genau hinsehen muss um sie zu bemerken.
Beim Weitergehen entdecken wir immer mehr Seelöwen, die geruhsam in der Sonne liegen und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Es ist unglaublich, wenige Meter neben den in freier Natur lebenden Tieren zu stehen und sie beobachten zu können.
Willi ist total begeistert von den Eindrücken, ich natürlich auch.
Nach einer Rast treten wir den Rückweg an und erreichen nach weiteren zwei Stunden wieder den Parkplatz, auf dem wir das Auto abgestellt hatten.
Abends treffen wir nach einigen Zwischenstopps an ein paar schönen Aussichtspunkten wieder in Levin ein.
Geschichten über das „Paipatonga Reserve“
Kurze Zeit später treffe ich Willi bei meinen Vermietern wieder. Wie immer, am Sonntag Abend, bin ich bei Errol und Diane zum Dinner eingeladen.
U.a. ist dieses mal auch eine Nachbarin zum Dinner gekommen, die sehr interessante Geschichten über die Historie des nahegelegenen „Paipatonga Scenic Reserve“ erzählt.
Es handelt sich dabei um einen See, der zu Fuß etwa 10 Minuten von der Farm entfernt liegt und früher, zur Zeit der ersten Siedler, ein Rückzugsgebiet eines Maoristammes war.
Auf dem See gibt es zwei Inseln, eine natürliche und eine von den Maori geschaffene. Es muss hier immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen gegeben haben, wobei die Inseln uneinnehmbar waren, da Angreifer den See nicht ungesehen überqueren konnten.
Leider gibt es keinen Rundwanderweg um den See, was die Attraktivität für Besucher m. E. deutlich steigern würde.
Auf meine Frage hin, warum man den See nur von einer Seite besichtigen kann, erzählt die Nachbarin, sie hätte sich viel mit den ortsansässigen Maori über den See und seine Geschichte unterhalten.
Die Maori würden die andere Seite des Sees meiden, da sie, wie sie sagen, die Seelen ihrer verstorbenen Vorfahren dort spüren würden und niemand dabei ein gutes Gefühl hätte. Die andere Seite sei daher für sie Tabu.
Der See hat viel von seiner ursprünglichen Fläche verloren, da der Wasserzulauf von der sich entwickelnden Landwirtschaft immer weiter zurückgedrängt wurde.
Vor 50 Jahren war das Wasser noch so tief, dass auf dem See Motorbootrennen gefahren wurden, was regelmäßig zu Verkehrsstaus in der Umgebung geführt hat. Also wurden die Rennen irgendwann verboten und der See geriet mehr und mehr in Vergessenheit.
Heute ist man bemüht, den Wasserspiegel wieder anzuheben. Aber die Interessen der Farmer sind mit denen der Naturschützer nicht immer in Einklang zu bringen. Meine Vermieterin Diane hat zusammen mit einigen Nachbarn eine Interessengruppe ins Leben gerufen („Friends of Lake Paipatonga“), um sich mit Anderen für den Erhalt des „Paipatonga Scenic Reserve“ einzusetzen.
Ein typisches Beispiel dafür, wie Kiwis Dinge in die Hand nehmen, um ein selbst gestecktes Ziel zu erreichen.
Ich kann das Interesse, den See zu erhalten, gut nachvollziehen. Wenn man zu Fuß zum See geht, befindet man sich plötzlich in einen „Zauberwald“, in dem man ein Konzert von Vogelstimmen hört, wie sonst selten in der Umgebung.
Leider ist vom See und von den Vögeln nicht viel zu sehen. Man muss sich sehr ruhig verhalten und viel Geduld haben, bis sich ein paar Vögel blicken lassen.
Manchmal hat man Glück und sie fliegen einem direkt vor die Kamera...