Sonntag, 18. April 2010

Es gab einiges vorzubereiten

Der Gedanke




Als Hausarzt nach Neuseeland gehen, dort leben, arbeiten und das Land kennen lernen.

Für ein Jahr, wenn es gefällt vielleicht auch für länger?


„Wie können Sie uns das antun?“ (fragte eine Patienten, die sich von mir im Stich gelassen fühlte)


„Warum leben Sie meinen Traum?“ (fragte ein Kollege, der seine Praxis nicht aufgeben wollte)


„Warum tue ich mir das an?“ (fragte ich mich, als ich zum wiederholten Mal zur Englischprüfung antrat und sie wieder nicht bestand)


So mal eben auf die Schnelle war der Gedanke nicht umzusetzen. Da gab es u.a. noch meine Praxis, für die erst noch ein Nachfolger gefunden werden musste. Und dann gab es auch einige, vielleicht nachvollziehbare Ängste, die sich um die Aufgabe einer sicheren Existenz und eine völlig ungewisse Zukunft drehten.


Je mehr ich mich mit dem Gedanken eines Auslandsaufenthaltes befasste, um so mehr Fragen und Hinderungsgründe tauchten auf. Plötzlich bemerkte ich, wie sehr ich in unterschiedliche Aktivitäten eingebunden bin und wie schwer es ist, sich von liebgewordenen Dingen und noch viel mehr von liebgewonnenen Menschen zu trennen.


Wollte ich wirklich nach 11 Jahren Hausarzttätigkeit meine Praxis aufgeben?


Gründe dafür gab es genug (zunehmende Bürokratisierung meiner Arbeit; Das Hamsterradgefühl, welches zum täglichen Begleiter wurde; Das Regressrisiko, d.h. die Mangelverwaltung in einem Gesundheitssystem, dass wie ein Supermarkt ohne Kasse geführt wird, für dessen Ausgaben ich aber möglicherweise verantwortlich gemacht werde ...).


Gründe dagegen gab es mindestens genauso viele (Das Glück, einen 100% zuverlässigen Kollegen als Praxispartner zu haben; Der Erfolg, mit dem Praxisteam jede noch so schwierige Aufgabe im Praxisalltag und auch die abstrusesten Systemveränderungen zu meistern; Die Wertschätzung von Patienten, welche sie mir u.a. mit selbstgebackenem Kuchen und anderen Leckereien versüßten; Jeden Tag zur Arbeit zu gehen mit der Gewissheit, er wird anders als der Vorhergehende; Patienten, die mir im Laufe der Jahre ans Herz gewachsen sind; Das Gefühl eine sinnvolle und wertvolle Arbeit zu leisten ...).


Natürlich hätte ich bis zum Rentenalter so weiterarbeiten können. Aber wollte ich das wirklich?

Würde ich später auch noch einen Auslandsaufenthalt machen wollen oder können?



Die Umsetzung





Einen Praxisnachfolger habe ich bis heute nicht gefunden. Durch die Gazetten geisterten schon seit Jahren Berichte, die beschrieben, wie schwierig es für Praxiskollegen im ländlichen Bereich wäre, einen Nachfolger zu finden. Das klang alles ganz weit weg, irgendwo in den neuen Bundesländern und da auch nur auf dem platten Land. Aber doch nicht in einer mittleren Großstadt! Dachte ich.


Ich musste mich eines Besseren belehren lassen und spürte am eigenen Leibe den real existierenden Hausärztemangel. Nicht die Ärzteschwemme war eingetreten, wie man mir noch zu Beginn meines Studiums weismachen wollte, sondern das genaue Gegenteil.


Die Hoffnung über eine sog. „Praxisbörse“ der Kassenärztlichen Vereinigung einen Interessenten zu finden starb zwar zuletzt, aber genau so, wie die Hoffnung über lokale und bundesweite Anzeigen einem angehenden Hausarztkollegen meine Praxis schmackhaft zu machen. Nur professionelle Praxisvermittler überschütteten mich mit Angeboten, weil sie wohl noch eine weitere Karteileiche brauchten, für die sie im Erfolgsfall eine ordentliche Provision kassieren konnten. Das war für mich keine attraktive Alternative. Alle, auch die noch so wohl formulierten und natürlich nur gut gemeinten Vermittlungsangebote landeten in meiner Ablage P.


Für mehr als ein Jahr bot ich meine gut gehende Praxis wie ein leckeres Dessert an, keiner wollte zugreifen. Niemand war bereit, die Investitionskosten und natürlich auch die Verantwortung einer Selbständigkeit mit ungewisser Zukunft zu tragen. So vergingen Woche für Woche, Monat für Monat, Anzeige für Anzeige, bis mein Praxiskollege mir anbot, meine Praxis zu übernehmen und einen oder mehrere Ärzte anzustellen. Interessenten, die als Angestellte arbeiten wollten, gab es genug.


Ich bin meinem Kollegen für seine Entscheidung bis heute überaus dankbar, waren doch damit die Voraussetzungen für alle weiteren Schritte geschaffen: Informationen über Einreiseformalitäten und eine passende Stelle in Neuseeland suchen, Möbel verkaufen oder einlagern, Wohnung kündigen, Freunde und Familie darüber informieren, dass ich mich bald für längere Zeit auf der anderen Seite der Welt aufhalten werde...



Eine unverhoffte Gesellschaft





Nach dem ich die Praxisübergabe geregelt hatte (das dauert von der Vertragsunterzeichnung bis zum tatsächlichen Ausstieg ca. sechs Monate), war es Zeit Abschied zu nehmen. Eine neue, ungewohnte Erfahrung. Nicht der Abschied selbst war neu für mich, sondern die Dimension des Abschiednehmens.


Sich plötzlich von fast allen Dingen zu verabschieden, und zu wissen es bleibt von den eigenen Habseligkeiten nur ein Koffer und drei Kisten übrig, die ich in einem Keller einlagerte, das war schon neu für mich.


Schwieriger als der Abschied von Materiellem war es, den vielen Menschen mitteilen zu müssen „Ich gehe für lange Zeit weit weg und weis nicht, wann ich wiederkomme. Vielleicht in einem, vielleicht aber auch erst in drei oder mehr Jahren.“


Es gab viele Personen, denen ich meine Zukunftspläne mitteilte: Meiner Familie, allen Freunden und Bekannten, den Kollegen benachbarter Praxen sowie Kollegen, denen ich häufig Patienten zur Untersuchung überwiesen hatte. Und natürlich informierte ich auch meine Patienten, von denen mich pro Quartal ca. 800 bis 1200 aufsuchten. Dann gab es noch die Lehrärzte an der MHH, mit denen ich viele Jahre Studenten unterrichtet hatte, Gutachterstellen, für die ich tätig geworden bin, die umliegenden Gesundheitsdienstleister (Apotheker, Physiotherapeuten, Pflegedienste) ...


Ein mindestens genauso großer Aufwand war es, sich schriftlich überall ab- und umzumelden. Da gab es Zeitschriften, Strom-, Wasser- und Gasversorger, denen ich kündigen musste und darüber hinaus noch ca. 80 weitere Adressaten wie z. B. Banken, Versicherungen wie auch Institutionen bzw. Gesellschaften in denen ich Mitglied war.


Und als besondere Aufgabe blieb mir natürlich noch das persönliche Abschiednehmen. Jeder wollte sich noch mal mit mir treffen, was natürlich auch meinem Wunsch entsprach, aber die Vielzahl der „Abschiedstreffen“ war dann doch sehr ungewohnt und zum Teil schwierig zu organisieren und jedes mal hat es mir das Herz zerrissen „Auf Wiedersehen“ sagen zu müssen. Aber, ich wollte es ja so.




Eine große Abschiedsparty wollte ich auf keinen Fall geben. Ich bin kein Partytyp und Großveranstaltungen sind nicht meine Sache.


Um so erstaunter war ich, am Wochenende vor meiner Abreise nach einem Treffen mit meiner Tochter die versammelte Mannschaft von Freunden zu Hause vorzufinden. Meine Freundin hatte alles perfekt organisiert und ich war natürlich erstaunt zu hören, dass meine Tochter mit im Bunde war, mich von zu Hause wegzulotsen, damit in der Zwischenzeit meine Abschiedsparty vorbereitet werden konnte.


Eine tolle Überraschung. Echt gelungen!






Ja, ich habe viel dazu gelernt in letzter Zeit. Wie wichtig gute Freunde und regelmäßige Sozialkontakte sind. Ich werde sie vermissen und hoffe, den Kontakt per Telefon und Skype trotz Zeitverschiebung aufrecht halten zu können. Und hoffentlich werde ich bald neue Kontakte in Neuseeland finden.


Ich habe bei der Umsetzung meiner Auslandspläne bemerkt, wie viele Dinge ich im laufe der Zeit angesammelt habe und dass es manchmal auch gut ist sich von Dingen zu trennen um Platz für Neues zu schaffen, auch im Kopf.


Ich hoffe, meine Familie und Freunde nicht zu sehr mit meinen Aktivitäten belastet zu haben und danke allen für die guten Wünsche und tatkräftige Unterstützung.


Abflug Frankfurt – Singapur: 07.04.2010



Fortsetzung folgt